: Zurück in die Zukunft
Das Babylon, der letzte Berliner Kinopalast aus den 20er-Jahren, wird saniert. Die Betreiber wollen Großes: den cineastischen Angriff auf die Multiplexe und die Eröffnung zur 51. Berlinale
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
Niemand in der Stadt würde derzeit sein Geld darauf verwetten, dass die altehrwürdigen Off-Kinos eine Überlebenschance in der Berliner Kinolandschaft besitzen. Zu stark geht der Trend zu den Filmpalästen am Potsdamer Platz, der einen apokalyptischen Wandel für andere Lichtspielhäuser nach sich zog. Proportional zu den sinkenden Besucherzahlen haben die einst gefeierten Off-Kinos auch beim Programm an Terrain verloren. „The last picture show“ steht in Berlin synonym für den Niedergang traditioneller Filmkunst und Filmkunsttheater.
Ende dieses Monats schließt erneut eine alte Spielstätte, das Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte. Dessen existenzielles Mysterium bestand schon allein darin, in den vergangenen Jahren überhaupt mit einem Programm aufgewartet zu haben und nicht wie vergleichbare Lichtspielhäuser der Stadt in einen Supermarkt umgewandelt worden zu sein. Denn das Babylon spielte nicht mehr in dem großen Kinospalast aus dem Jahre 1929, sondern in dem muffigen Foyer davor. Der Saal ist seit 1992 wegen Baufälligkeit geschlossen.
Einem Mysterium kommt es ebenfalls gleich, dass das Haus jedoch wieder eröffnet wird, noch dazu mit einem Programm für wenige anspruchsvolle Cineasten. Das macht die Betreiber aber nicht unruhig. Im Gegenteil. Vielmehr sind der Verein Berliner Filmkunsthaus Babylon, dessen Vorsitzende Erika Richter, der Architekt Joachim Roemer und die Liebhaber der Kinoklassiker da, wo sie seit Anfang der 90er-Jahre hin wollten: bei der Verwandlung des Filmkunsthauses zurück in die Zukunft.
Mit einem Millionenaufwand wird das marode Kino jetzt denkmalgerecht renoviert und erweitert. Rund 9 Millionen Mark fließen in die Sanierung und die technische Ausrüstung des Kinos und einen zweiten kleinen Saal. 2,9 Millionen Mark werden zusätzlich als Investition für eine neue Leinwand, die Bestuhlung und Reparaturen an der alten Stummfilmorgel aufgewandt. Das Geld macht den Verein ein wenig keck: Um die Hauptumbauphase nicht zu behindern, verzichtet das Filmhaus bis zum Herbst 2000 auf Programme und Eintrittsgelder. Erst dann wird der kleine Saal wieder eröffnet. Für das „Grand Opening“ des großen Kinos hat Richter ebenfalls einen Termin parat: „Die 51. Filmfestspiele der Berlinale 2001.“ Dann werde das Babylon „eines der schönsten Filmtheater in der deutschen Kinolandschaft sein“.
Auf das Ziel der denkmalgerechten Sanierung hatten die Filmkunstbetreiber, ungeachtet der Konkurrenz von Multiplex-Kinos, seit 10 Jahren hartnäckig hingearbeitet. Trotz der Schließung des großen Saals trennte man sich weder von dem Haus noch von der Idee cineastischer Werkschauen und Programm-Klassikern wie Hitchcock, Visconti oder Eisenstein, Renoir oder John Ford. Der vom Land geförderte Verein, neben der Kinemathek das einzige „kommunale Filmkunsthaus“ Berlins, richtete sich in einem muffigen Kintopp-Provisorium aus Moltontüchern und 68 harten Sitzen ein, die im Foyer des einstigen Kinopalastes aufgestellt wurden.
Dass das Haus nicht eher saniert und als großes kommunales Kino ausgebaut wurde, sagt Architekt Roemer, lag an den schwierigen Restitutionsansprüchen der Immobilie. „Es standen Fördergelder bereit“, so Roemer, „allein die ungeklärte eigentumsrechtliche Situation verhinderte einen früheren Umbau“. Erst 1999 konnten die Besitzansprüche zwischen Alteigentümern, der Wohnungsbaugesellschaft Mitte und dem Verwalter der Babylon Block GbR so geklärt werden, dass die Subventionen abgerufen, Kredite und Eigenkapital zur Instandsetzung aktiviert werden konnten.
Zugleich erhielt das Filmhaus Babylon seit 1990 Unterstützung bei Politikern des Bezirks und der Denkmalbehörde, die für den Erhalt und die bestehenden Nutzungen des Gebäude sowie des gesamten städtebaulichen Ensemble plädierten.
Im Rahmen der Sanierung des Scheunenviertels nahe des Alexanderplatzes war nach der Jahrhundertwende vor Ort der dreieckige Bülowplatz angelegt worden. Für dessen Mitte entwarf Oskar Kaufmann 1914 die Volksbühne. Der Architekt Hans Poelzig rahmte 1927 den Platz auf der Nord- und Ostseite mit einer mehrgeschossigen Wohnbebauung samt Läden im Erdgeschoss. 1929 folgte an der Südseite das Kino Babylon, eines der schönsten Berliner Rangkinos mit 1.200 Plätzen und in expressiver Architektursprache, in blau, gelb und roter Farbkonzeption gestaltet, einer Kassenhalle, dem Foyer, geschwungenen Treppen und Emporen, die zur Steigerung der kinematografischen Illusion beitragen sollten.
Von der Innenarchitektur Poelzigs indessen war nach dem Krieg wenig geblieben, da Umbauten durch die sowjetischen Militärs den alten Stil überformten. Trotzdem entschied die Denkmalbehörde, dass der Eingang ins Kino wieder an Poelzigs illusionistische Inszenierung erinnern soll. Anders, so Roemer, „wird der Umgang mit der Empore und dem Innenraum des Kinos sein“. Der Saal werde auf 460 Plätze reduziert, in samtigen hellen Farben gestaltet, Strukturen der Sowjet-Zeit erhalten und eine neue versenkbare Leinwand aufgespannt. Dahinter, anstelle der einstigen Bühne, entstehe das zweite kleine Kino, in dem „auf 60 Plätzen die ästhetischen Leckerbissen zu sehen sind“.
Großes Kino soll dann wieder im großen Haus über die Leinwand flimmern. Und die Konkurrenz zum Potsdamer Platz scheut die Vereinsvorsitzende Erika Richter auch nicht: „In dem von Neubauten strotzenden Berlin wird es ein Ort der Film- und Architekturgeschichte sein, an dem man Filme am historischen Ort erleben kann.“ Man ist versucht, ihr zu glauben, dass dies nach 10 Jahren Babylon-Geschichte funktioniert.
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