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Der Hunger der Nacht

Nicht nur auf der Reeperbahn: Wo es sich in Hamburg nachts um halb Drei noch solide sattwerden lässt  ■ Von Sylvia Massow und Kathi Schiederig

Ausgiebig getanzt in der Disko, gerade die Spätvorstellung durchgestanden – von Hunger geplagt spült es den Stadtmenschen wieder auf die Straße. Die profane Currywurst befriedigt ihn nicht, er will gut und ausgiebig essen – nachts zwischen Zwei und Vier in Hamburg. Schlecht, wenn sich die NachtschwärmerIn gerade in Bergedorf oder Poppenbüttel befindet. Hier ist sie schon mindestens zwei Stunden zu spät dran.

Mehr Glück könnte ihr dort beschieden sein, wo sich ohnehin das Nachtvolk tummelt. Im Schanzenviertel werden in einigen Lokalitäten Grill und Suppentopf gerade erst angewärmt. Hier haben Hungrige auch morgens um Drei die Qual der Wahl: Kehren sie im Klassiker „Erikas Eck“ ein, können sie sich bei Steaks frisch aus dem benachbarten Schlachthof vom Chef persönlich Geschichten erzählen lassen von „damals, als das ganze Viertel brannte“. Da, erinnert sich Peter Müller genau, „stärkten sich hier die von der Roten Flora friedlich Seite an Seite mit den Polizisten.“

Auch nachts geht es an der Schanze multi-kulinarisch zu: Im „Lokma“ in der Bartelsstrasse verschafft eine „Iskembe“, eine türkische Pansensuppe mit Knoblauch, die solide Grundlage für anschließend geplante Vergnüglichkeiten. Wers nicht ganz so deftig mag, isst portugiesisch – bis morgens um Vier im „La Sepia“ oder im „Petisco“ am Schulterblatt. Und in vielen andere Kneipen-Restaurants, wo die Köche zwar in der Woche nur bis Mitternacht im Topf rühren, gehts immerhin am Wochenende schon mal länger.

Ganz gute Chancen könnten hungrige HeldInnen der Nacht auch haben, wenn sie gerade eines der Etablissements auf St. Pauli verlassen haben. Wen der Anblick der zahlreichen Pizza-und-Bier-Buden nicht schwach macht, der kann mit Glück noch einen Stehplatz im „Quer“ am Hans-Albers-Platz ergattern oder eines der ausgedehnt geöffneten Asia-Lokale testen.

Und die City? Die ist wider Erwarten nach Büroschluss doch nicht komplett ausgestorben. Neben Reinigungsfachkräften finden sich auch vereinzelte Nachteulen, und die können sich bei „Ges-tern & Heute“ in der Kaiser-Wilhelm-Straße sogar aussuchen, mit wem sie Tisch und Teller teilen wollen: Im eher deftig-bodenständigen G & H trifft mensch bei phänomenalen 21 Bratkartoffelgerichten und 16 Frühstücks-Varianten auf Taxifahrer und Redakteure.

„Hier ist noch keiner hungrig rausgegangen“, verspricht Kellnerin Waltraut. Arm auch nicht – die Preise sind so zivil, dass auch die Bewohner der Obdachlosenunterkunft „Pik As“ vorbeikommen. Andere Stammgäste bekommt Waltraut nie zu Gesicht: Seit zwölf Jahren bestellt ein Gast regelmäßig das Bauern-Frühstück, zwei Bier und eine Schachtel Zigaretten per Telefon und lässt alles von einem Taxi abholen.

Das G & H Gourmet schräg gegenüber hat sich trendy Handy-nie-AbschalterInnen zum Publikum gemacht. Deshalb stehen hier auch nur 13 Kartoffelspezialitäten auf der Karte und das Tomaten-Käse-Brötchen heißt „Mozzarella-Crostini“.

Aber selbst auf St. Pauli, im Schanzenviertel oder gar in der City sollte man zielstrebig vorgehen: Wer auf gut Glück losstiefelt, um zu sehen, wo es noch etwas Essbares gibt, wird im Dschungel der Nacht kaum fündig. Und in den Randbezirken endet die Suche mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der heimischen Tiefkühlpizza. Nur wer spätgastronomische Erfahrungen hat und/oder TaxifahrerIn ist, findet spontan an den Futtertrog.

Alle anderen Hungergeplagten müssen Kenner der Szene nach einschlägigen Etablissements fragen. So bietet in Barmbek das „Schachcafé“ kalorienhaltige Erbauung bis in die Morgenstunden. In Eimsbüttel erfreut den geneigten Nachtesser das „Optimal“, und in Eilbek gibt das „Corner 57“ ein letztes Häppchen aus.

War die Suche nach einem deftigen Betthupferl dennoch erfolglos, bleibt noch die Möglichkeit, in einem der amerikanischen Schnellrestaurants wenigstens vorübergehend das Hungergefühl loszuwerden. Oder es ist mit ein bisschen Glück gerade Sonntagmorgen, fünf Uhr und Zeit für ein Frühstück auf dem Fischmarkt.

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