piwik no script img

Cleverer Schund

Mit zweifelhafter Massenware steigert „edel music“ jedes Jahr seinen Umsatz  ■ Von René Martens

„Mit Kultur haben wir aber nichts am Hut“, sagt Michael Haentjes, als er erfährt, dass ein Artikel über seine Firma im Feuilleton erscheinen soll. Der Vorstandsvorsitzende der edel music AG, „Europas größtem unabhängigen Tonträgerunternehmen“, fühlt sich im Wirtschaftsteil besser aufgehoben. Die Platten des Teenie-Stars Blümchen oder zu TV-Serien wie „Sailor Moon“ oder „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ – interessant findet Haentjes sie nur unter ökonomischen Gesichtspunkten.

Als „unabhängig“ kann sich edel durchaus bezeichnen, denn keiner der marktbeherrschenden Konzerne ist beteiligt an der Firmengruppe, die auf einem ehemaligen Kasernengelände in Bahrenfeld residiert. Die Philosophie der Independent-Labels ist edel indes fremd. Haentjes betont, dass er „keine Mission und keine Vision“ habe. „Wir hatten nie den Wunsch, ein inhaltliches Profil zu schaffen. Wer auf eine Richtung festgelegt ist, läuft Gefahr, dass er bei einer Trendwende in Schwierigkeiten gerät.“

Das seit September 1998 am Neuen Markt notierte Unternehmen versteht sich als Gemischtwarenladen. Auch Klassik ist im Repertoire, und gerade in diesem Geschäftsfeld will edel in den nächs-ten Monaten mit einem neuen Online-Konzept in die Offensive gehen. „Im Internet wird das Klassik-Geschäft schneller wachsen als das Pop-Geschäft“, glaubt Haentjes.

Die Strategie, „repertoirelich in die Breite zu gehen“, hat der edel-Gruppe 1999 einen Umsatz von 450,9 Millionen Mark beschert, die Hälfte mit ausländischen Tochterfirmen zwischen Schweden und Shanghai. Das bedeutet gegenüber 1998 immerhin eine Umsatzsteigerung von fast 60 Prozent – umso erstaunlicher, weil die Geschäfte der Konkurrenz in Europa stagnieren oder rückläufig sind und umsatzträchtige Stars wie Blümchen oder Aaron Carter ihre neue Alben auf dieses Jahr verschoben haben.

Was mag das Erfolgsgeheimnis sein? Die „flachen Hierarchien“ seien wichtig, sagt Haentjes. Die „starken Unternehmerpersönlichkeiten“, die die Firmen des edel-Netzwerks führten, könnten eigenständig und flexibel entscheiden. Haentjes amüsiert sich ein bisschen über das Klagegeheul der hiesigen Tonträgerfirmen, die allein die technologischen Entwicklungen der letzten Jahre dafür verantwortlich machen wollen, dass es hier zu Lande immer weniger Musik-Fans in die Plattenläden zieht: „In den USA ist der Absatz von Alben im vergangenen Jahr um 11 Prozent gestiegen, und auch dort brennen sich die Menschen ihre CDs selbst oder laden sich Musik aus dem Internet.“

Derzeit gehören 70 Unternehmen zur edel-Gruppe, und doch ist Michael Haentjes „ständig im Flugzeug unterwegs, um unsere Löcher zu stopfen – sowohl geographisch gesehen als auch, was das Repertoire betrifft“. Mit neuen Akquisitionen ist demnächst in Mexiko und Brasilien zu rechnen. „Musik aus Lateinamerika wird in den nächsten Jahren einen großen Einfluss haben auf die Entwicklung der internationalen Pop-Szene. Und wir wollen eine Verbindung zu den Wurzeln haben“, sagt Haentjes. Zurückhaltend agiert edel dagegen in Asien, weil sich dort produzierte Popmusik nicht weltweit vermarkten lässt – von einigen japanischen Underground-Helden einmal abgesehen.

Natürlich haben auch die cleveren Schundverkäufer aus der Wichmannstraße, die im kommenden Jahr ein hippes Domizil in Neumühlen beziehen wollen, nichts einzuwenden gegen Künstler mit Crediblity. Von denen hat die edel AG eine beachtliche kleine Flotte am Start, seit sie im Juli letzten Jahres 74,9 Prozent des belgischen Independent-Riesen Play It Again Sam (PIAS) übernommen hat. „Durch diese Allianz bekommt die unabhängige europäische Musikindustrie ein ganz neues neues Gewicht im weltweiten Musikmarkt“, tönte Haentjes seinerzeit.

Zur PIAS-Gruppe gehören allein 16 Firmen, unter anderem das französische Techno- und House-Label F-Communications (Mr. Oizo, Laurent Garnier). Auch Public Enemy gehören seit der Übernahme von PIAS zum edel-Repertoire. Die Agit-HipHopper sind – sehr kurios – somit nunmehr verbündet mit einem Konzern, der auch Promotion-CDs für das Strom-Unternehmen yello zusammen stellt oder Musik liefert für einen Chip, den die Firma Infineon an Telekommunikationsgesellschaften zwecks Einbau in Telefongeräten verkauft.

Womöglich expandieren die großen Unabhängigen aus Bahrenfeld auch bald in den großen Vereinigten Staaten. Einen entscheidenden Schritt machte der edel-Konzern im Herbst, als er 80 Prozent von der US-amerikanischen Indie-Distributionsfirma RED übernahm, die bis dahin vollständig im Besitz von Sony gewesen war. Wie schon der Kauf der PIAS-Anteile ist auch dieser Deal ein Indiz dafür, dass in der Szene der Independent-Labels derzeit ähnliche Konzentrationsprozesse ablaufen wie bei großen Unterhaltungs-Konzernen.

Im Laufe der nächsten Monate ist nun geplant, sich an einigen Labels zu beteiligen, die mit RED zusammen arbeiten. 17 Prozent am Hard'n'Heavy-Label Roadrunner hat sich edel bereits im Januar gesichert. Ein Ende der „territorialen Expansion“, wie Michael Haentjes die Firmen-Strategie nennt, scheint erst einmal nicht absehbar zu sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen