Einer für alle Fälle

Italiens neuer Premier Giuliano Amato hat nicht nur einen sicheren Instinkt für die Macht, sondern auch für deren Metamorphosen

von MICHAEL BRAUN

Er mag es, wenn er „Dottor sottile“, „Doktor Scharfsinnig“, genannt wird. Und tatsächlich beherrscht Giuliano Amato die Kunst der ebenso geschliffenen wie sachkundigen Argumentation wie kaum ein anderer Politiker Italiens. Dabei ist der kleine Mann mit der großen Brille kein großer Rhetoriker. Wenn er leise über Globalisierung oder Rentenreformszenarien doziert, mag man fast glauben, den Verfassungsrechtdozenten habe es nur zufällig in die Politik verschlagen.

Doch Dottor Sottile war immer Teil des „Palazzo“, des Zentrums der Macht. 1983 rief ihn Sozialistenchef Bettino Craxi als Staatssekretär ins Amt des Ministerpräsidenten. Von dort aus handelte er das Konkordat mit dem Vatikan aus – und verfügt seitdem über beste Klerus-Kontakte. 1984 suchte Amato die Kraftprobe mit den Kommunisten. Er strich die automatische Lohnanpassung und spaltete die Gewerkschaften. Auch war es Amato, der Craxi bis zum Zusammenbruch der korruptionsversessenen Sozialistischen Partei im Jahre 1992 treu als Stellvertreter diente.

1992 schließlich war Amato Chef des letzten Kabinetts der Ersten Republik. Damals bewies er sicheren Instinkt – nicht nur für die Macht, sondern auch für deren Metamorphosen. Die Altparteien versanken im Strudel der Korruption – Giuliano Amato aber stieg auf. Mit seinem Krisenkabinett verabschiedete er den drastischsten Staatshaushalt in Italiens Geschichte – in nur einem Jahr wurden 120 Milliarden Mark eingespart –, brachte erneut die Gewerkschaften und die linke Wählerschaft gegen sich auf.

Gleichzeitig erwarb er sich aber auch den Ruf eines „Retters Italiens“ in Geschäftswelt und Politik. So war wenig verwunderlich, dass Amato nach einem Interim als Direktor der Kartellbehörde 1998 in die Politik zurückkehrte. Zuletzt diente er D`Alema als Schatzminister. Frühere Sozialisten – vorneweg Bettino Craxi – beschuldigten ihn ob des Eintritts ins Kabinett eines Exkommunisten des Verrats. Doch Amato zeigte, dass er seinen Ideen treu geblieben war, fiel durch katholikenfreundliches Wettern gegen das liberale Abtreibungsrecht genauso auf wie durch den wiederholt gezeigten Willen, die Renten noch einmal zusammenzustreichen. Kurz: Er gab den Unternehmerliebling in der Regierung.

Jetzt wird er wieder als Retter gerufen – zwar nicht Italiens, aber immerhin doch der demoralisierten Mitte-links-Allianz. Ungewiss bleibt dabei, ob das Bündnis seine Rettung auch überleben wird. Einer dagegen darf schon jetzt wieder als Mann mit Zukunft gelten: Giuliano Amato.