: Der Brief des Herrn Prodi
Will der EU-Kommissionspräsident den deutschen Atomausstieg stoppen? Nein. Es sieht eher nach einer Niederlage für CSU-Frontmann Stoiber aus
FREIBURG taz ■ „EU hat Bedenken beim Atomausstieg“, titelte am Donnerstag die Bild-Zeitung. Sie berief sich dabei auf einen Brief, den Kommissionspräsident Romano Prodi an Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) geschrieben habe. Tatsächlich existiert ein solcher Brief, sein Inhalt deckt die Schlussfolgerungen der Bild allerdings kaum.
Prodi antwortete auf ein Brandschreiben Stoibers vom Februar. Dort hatte Stoiber die EU-Kommission aufgefordert, gegen den von Rot-Grün geplanten Atomausstieg einzuschreiten. Durch einen Atomausstieg wäre nach Ansicht Stoibers der 1957 geschlossene Euratom-Vertrag verletzt, dessen Hauptzweck die „Entwicklung und Förderung der Kernenergie“ sei. Dem hat Prodi jetzt ausdrücklich widersprochen: „Nach allgemeiner Ansicht überlässt der Euratom-Vertrag den Mitgliedstaaten die Wahl, über die Einführung bzw. Beibehaltung der Kernenergie zur Energieerzeugung zu befinden.“
Diese Auskunft kommt nicht überraschend. Immerhin haben 7 von 15 Euratom-Staaten auf AKW verzichtet, ohne dass die EU-Kommission eingegriffen hätte. Beim Beitritt von Österreich, Schweden und Finnland wurde den Neulingen ausdrücklich zugesagt, dass die „Entscheidung über die Erzeugung von Kernenergie entsprechend ihren eigenen politischen Ausrichtungen“ getroffen werden darf. Auch das von Stoiber monierte Verbot der Wiederaufarbeitung ist wohl kein Verstoß gegen EU-Recht. Dies wäre nur der Fall, wenn die WAA-Anlagen in Sellafield und La Hague gegenüber deutschen Anlagen benachteiligt würden. Tatsächlich wird es nach dem Verzicht auf Wackersdorf aber keine deutsche WAA geben. Zur möglichen Erhöhung des CO2-Ausstoßes erklärte Prodi, „dass eine Schließung deutscher Kernkraftwerke verstärkte Anstrengungen in Bereichen wie erneuerbare Energien und Energieeffizienz erforderlich“ mache. Das ist jedoch auch die Position der Bundesregierung.
Stoibers Vorstoß bei der EU-Kommission ist damit völlig im Sande verlaufen. Die bayerische Staatskanzlei wollte deshalb den Prodi-Brief auch weder herausgeben noch kommentieren. Inzwischen hat jedoch die EU-Kommission auf ihrer Homepage das Schreiben Prodis zur „Klarstellung anders lautender Gerüchte“ veröffentlicht: http://eu-kommission.newsroom.de.
CHRISTIAN RATH
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