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Babylon bei Bass

■ Eklektizistischer Neuzugang: der Hamburger Sänger Patrice und sein Debüt-Album

Dünn aufgetragen war das nicht. Im Gegenteil: Wie Moses in alten Bibelschinken schritt er, singend, am Ostermontag vom Balkon der Prinzenbar herab. Selbst die Handhaltung sprach von der Offenbarung der Gerechten, und auch das Schreiten ist ja eigentlich eine vollkommen aus der Mode gekommene Art der Fortbewegung. Wäre der Beiname „The Prophet“ nicht schon für den Consciousness-Ragga-DeeJay Capelton reserviert, Patrice hätte ihn verdient. Die Massen wichen wohlig schauernd zur Seite, geblendet von so viel Mut – und vielleicht auch in der Hoffnung, ein bisschen mehr zu erleben, als bei Platten-Release-Partys üblich.

Berechtigten Anlass dazu lieferte vor anderthalb die EP Lions, eine Tour mit der Fugees-Frontfrau Lauryn Hill – sowie das dieser Tage im Hamburger Yo Mama-HipHop-Stall erschienene Album Ancient Spirit. Auf dem empfiehlt sich der junge, in Hamburg lebende Songwriter nicht nur als faszinierend eklektizistischer Neuzugang innerhalb der Hamburger Rapszene, sondern auch als begnadeter Roots-Folker, auf den sich Fans von Terry Callier oder Jon Lucien genauso einigen können wie Liebhaber der jamaikanischen Dancehall-Styles von Buju Banton oder Bounty Killer.

Um Grenzen scheren sich die in sierraleonisch-jamaikanischem Patois vorgetragenen Songs von Patrice nämlich reichlich wenig: Soul, Folk, Reggae, HipHop, ihre einzige Klammer bildet das, was Musiker auch gerne als Spiritualität bezeichnen. Doch wenn die Resultate stimmen, stört das ja auch agnostischere Zeitgenossen wenig. Wie jene Soundsystem-Veteranen, denen die Tränen in den Augen standen, als Patrice zur akustischen Gitarre deren natürlich gaaanz große Bassboxen auf Dubplate besang.

Nur schade, dass live auf der Bühne die Bläser-Section der Skatalites fehlte, mit denen der Hamburger Dub-Wizard und Absolute Beginner-Produzent Matthias Arfmann im Studio gearbeitet hatte. Zu den Riddims seiner eingespielten Shashamany-Band verwandelte Patrice die Prinzenbar in einen brodelnd-schwitzigen Hexenkessel, und der Ersatz für die jamaikanischen Virtuosen ließ in Form von Samy Deluxe auch nicht lange auf sich warten. Doch dessen Freestyle-Künste wären an diesem Abend gar nicht nötig gewesen, um zu merken: Da schreitet was.

Tobias Nagl

Patrice, Ancient Spirit, Yo Mama/Zomba

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