Schriftsteller sagt man nicht

■ Die Vorschau: Der junge Bremer Autor Colin Böttger liest am Donnerstag in der Villa Ichon aus seinem neuen Buch „Treibstoff“. Zuvor trank er einige Bierchen mit der taz

Der Abend beginnt in einer Küche und endet irgendwann nach Mitternacht an der Theke einer Viertelkneipe. Den schönsten Satz desselben sagt nicht Colin Böttger. Ich sage ihn auch nicht, sondern Doppelhans. Den kenne ich nicht persönlich. Colin Böttger hat mit ihm zusammengearbeitet, als er noch nicht in Bremen war, bei der Müllabfuhr, irgendwo in Hamburg. „Die Christen können es nicht verkraften, dass bei ihrer Erschaffung weder ein Hauch der Unendlichkeit, noch ein sarkastisches Lächeln Pate gestanden hat.“ Es ist ein schöner Satz. Ich versteh ihn nicht wirklich, mein Gegenüber auch nicht, aber wohl Hans, damals, hinten am orangenen Monstrum hängend. Es sei seine Art gewesen, das On-the-road-Gefühl zu verstärken: Philosophie und Korn – daher der Name „Doppelhans“.

Aber das sei schon lange her. Es ist auch das Letzte, was Böttger sagt, bevor wir vom Küchenbier (Dose) zum Kneipenbier (Flasche) übergehen. Ich geh nochmal aufs Klo. Ein Strip aus einem Batman-Comic hängt über der Tür. In drei Panels erledigt der Superheld jede Menge Gegner. Im vierten Panel wird er nachdenklich: „Na also“, denkt er in den letzten Fausthieb hinein. Auf dem Weg sage ich, das sei auch Philosophie, irgendwie. Böttger nickt. Ob ihn das – auch irgendwie – beeinflussen würde? Nun ja, irgendwie schon. Schließlich spielen die meisten seiner Texte in Milieus, denen Comics näher sind als Goethe. In „Der verschlossene Wald“, im letzten Frühjahr zum Bremer „Buch des Jahres“ gekürt, bauen sich Zwölfjährige eine Art Paralleluniversum, ein Refugium in der Welt der Erwachsenen. Ein Abenteuerroman übers Erwachsenwerden. Der Wald „ist in der Gedankenwelt der Kids zeitlos“. Solange, bis mit den Bäumen metaphorisch auch ihre Kindheit abgeholzt wird. Jetzt folgt der Roman „Treibstoff“, eine Art Fortsetzung.

Die Figuren sind um einige Jahre gealtert, bewegen sich in postpubertärer Schwerelosigkeit. „Mit 17 ist es völlig unmöglich, produktiv zu sein.“ Interessiert habe ihn gerade „das Gefühl, nicht viel zu verlieren zu haben, die Zeit, da man sich selbst am wenigsten kennt.“ Einige Jugendliche fahren aus der Provinz nach Hamburg, suchen dort ihre Freundin Lena. Sie werden herumgereicht, lernen Lebensstile kennen, die anders sind als das, was ihnen Zuhause bevorsteht. Ihr bisheriges „Schule-Party-Softdrogen-Leben“ erweist sich als alles andere als ereignisreich. Ein Buch über Möglichkeiten, die man ausprobieren kann, vielleicht sollte. Denn: „20 ist eine Art Schallgrenze“, da müsse man sich, glaubt Böttger, schließlich entscheiden.

Man merkt, dass Böttger mit seinen Romanen auch über sein eigenes Leben spricht. Vieles kenne er schon, aber er verfremdet auch gern, spielt mit Alltäglichkeiten, die sich plötzlich ins Dramatische oder Phantastische wenden. Böttger ist jetzt 28 Jahre alt. Geschrieben habe er schon immer. Nach dem Beginn des Studiums sei ihm klar geworden: „Dies will ich zu meinem Beruf machen.“ Die Aussichten auf dem engen Markt sind nicht gerade rosig. Es sei schon interessant, wenn man merkt, wie man zum „schwarzen Schaf“ in der Familie wird, nur, weil man schreibt.

Und wie funktioniert das Schreiben? Gut, sagt Böttger. Und grinst. „Ich will kein Buch schreiben, das ich nicht lesen wollen würde.“ Das bedeutet: Ist eine Geschichte einmal da, kann man nur hoffen, dass irgendwann ein Roman draus wird. „Ich bin meiner Geschichte immer nur drei oder vier Seiten voraus. Sonst kann ich die Spannung nicht aufrechterhalten.“

Dann reden wir über Gott und die Welt und über Beziehungen und vieles andere. Böttger hat nicht die Absicht, Bücher seiner (oder sonst einer) Generation zu schreiben. Nicht „aus dem Leben gegriffen“ pädagogisch. Er nimmt seine jungen Figuren ernst, ist recht nah dran. Vielleicht kommen die Texte darum so unaufdringlich daher. Sie handeln schlicht davon, wie alles so läuft, im Leben. Den Reaktionen auf „Der verschlossene Wald“ habe er entnommen, dass Erwachsene und Jugendliche das Buch gleichermaßen lesen, als wär's für sie geschrieben. Was nicht die geringste Leistung ist.

Schon was Neues in Arbeit? „Im letzten Jahr war ich in Amerika, unter anderem bei den Cree. Das fließt schon mit ein. Aber fertig ist es noch lange nicht.“ Wir bestellen ein letztes Bier. Ich muss dann los. Man sieht sich. Tim Schomacker

Colin Böttger liest am Donnerstag, 27. April, um 20 Uhr in der Villa Ichon aus „Treibstoff“ (Atlantik Verlag, 2000)