american pie
: Atlanta Hawks feuern gewinnreichsten NBA-Coach

GNADENBROT FÜR SÜNDENBOCK

In a coat he borrowed from James Dean

„Wie kann man nur so dämlich sein“, war die ziemlich einhellige Meinung in der Basketball-Liga NBA, nachdem die Atlanta Hawks vor Saisonbeginn einen absurden Spielertausch vornahmen, wie man ihn sonst eigentlich nur von den Los Angeles Clippers kennt. Mit dem zuverlässigen Scorer Steve Smith und dem langjährigen Spielmacher Mookie Blaylock wurden zwei zentrale Figuren des Teams nach Portland bzw. Golden State abgegeben, dafür kamen von den Portland TrailBlazers mit Jim Jackson und Isaiah Rider zwei Spieler mit viel Talent, aber auch einem gewissen querulatorischen Ruf. Zumindest Rider zauderte nicht lange, seinem Image gerecht zu werden. Schon zum ersten Trainingstag erschien er nicht, und 18 Spieltage vor Saisonschluss wurde er nach etlichen Suspendierungen von den Hawks vor die Tür gesetzt.

Während sich der Tausch überaus positiv für die TrailBlazers auswirkte, die nicht zuletzt dank der soliden Leistung von Steve Smith zu den heißen Titelkandidaten zählen, verlief die Saison in Atlanta verheerend. Im vergangenen Jahr hinter Indiana noch Zweiter der Central Division, dann allerdings in der zweiten Playoff-Runde überraschend an den New York Knicks gescheitert, waren diesmal im Osten bloß die Chicago Bulls erfolgloser. Mit nur 28 Siegen bei 54 Niederlagen wurde die schlechteste Bilanz seit 1968 erreicht, als das Team aus St. Louis nach Atlanta umgezogen war. Das erste Mal seit acht Jahren reichte es nicht für die Playoffs.

Ausbaden muss die Sache jetzt einer, der mit den fatalen Transfers wenig zu tun hatte: Lenny Wilkens, mit 1.179 Siegen der gewinnreichste („winningest“) NBA-Coach aller Zeiten – weit vor Miamis Pat Riley, der gestern in Detroit vor seinem tausendsten Spielgewinn stand. „Sie suchen immer jemanden, dem sie die Schuld geben können, und normalerweise ist das der Trainer“, wusste der 62-Jährige schon nach dem letzten Saisonspiel, einer Niederlage bei den Indiana Pacers, und er sollte Recht behalten. Am Montag gab das Management seinen Rauswurf bekannt. „Beide Seiten stimmten überein, dass es die richtige Maßnahme ist“, meinte Team-Präsident Stan Kasten, der mit Generalmanager Pete Babcock die Umwälzung des Teams initiiert hatte.

Wilkens hatte zwar gesagt, dass er das Vorhaben einer Verjüngung unterstütze, doch Center Dikembe Mutombo, letztes Überbleibsel alter Hawks-Herrlichkeit, ließ keinen Zweifel daran, dass es nicht der Coach war, der hinter dem neuen Konzept steckte: „Alles, was er tun konnte, war zu trainieren, was man ihm herbrachte.“ Dabei wurde deutlich, dass Babcocks Vorhaben, die Leute in der funkelnagelneuen Philips Arena mit jungen Akteuren und offensivem Spiel zu begeistern, bei dem eher auf Defensive und erfahrene Haudegen vertrauenden Wilkens auf wenig Gegenliebe stieß. Seine wilden Jünglinge, wie etwa Rookie-Guard Jason Terry, setzte er nur zögerlich ein und zog sich damit den Unmut des Managements zu.

Die Hoffnung der Hawks heißt Isiah Thomas

Die weitere Restrukturierung der Hawks, die vor der kommenden Saison immerhin zehn Millionen Dollar Raum unter der Gehaltsobergrenze für neue Spieler zur Verfügung haben und zudem beim Draft der Collegespieler auf einen guten Fang hoffen dürfen, soll nun ein risikofreudigerer Coach vornehmen. Topkandidat ist Isiah Thomas, einst Superstar der Detroit Pistons, mittlerweile TV-Kommentator und Besitzer der CBA, eine Art zweite Profiliga im US-Basketball. Diese müsste er loswerden, um den Trainerjob in Atlanta übernehmen zu können. Sollte er das nicht wollen, kommen auch die ehemaligen NBA-Spieler Byron Scott und Nate McMillan oder College-Coaches wie Tubby Smith (Kentucky) in Frage. Sogar John Thompson, einst an der Georgetown University Trainer von Dikembe Mutombo, Alonzo Mourning und Pat Ewing, wird genannt.

Lennie Wilkens, vor drei Jahren als einzige Person in die Riege der fünfzig besten NBA-Spieler und zehn besten NBA-Coaches aller Zeiten gewählt, denkt nach 27 Jahren Trainerkarriere keineswegs daran, sich zur Ruhe zu setzen. „Es macht mir noch Spaß, als Trainer zu arbeiten“ sagt er, „doch ich werde nichts überstürzen.“ Das hat der Mann, der 1979 mit Seattle NBA-Champion wurde, außerdem noch in Cleveland sowie Portland arbeitete und mit dem US-Team 1996 in Atlanta Olympiagold gewann, auch nicht nötig. Zwei Jahre wäre sein wohl dotierter Vertrag noch gelaufen, daher stehen ihm 10,4 Millionen Dollar zu und die Hawks müssen zahlen, bis er einen neuen Job hat. Kaum zu erwarten also, dass Wilkens bei Teams wie den New Jersey Nets oder Los Angeles Clippers anheuern wird. Gut möglich indes, dass er der neue Coach der Washington Wizards wird. Auch in der Hauptstadt steht zwar ein kompletter Neuaufbau des Teams an, aber dort könnte Lenny Wilkens mit einem Sportdirektor zusammen arbeiten, für den Defense und Mannschaftsgeist genauso wichtige Elemente sind wie für ihn: einem gewissen Michael Jordan. MATTI LIESKE