: Neue Musik geht in die Leichenhalle
■ Radio Bremen muss sparen. Deshalb findet das Festival „Pro Musica Nova“ an diesem Wochenende in der Größe vielleicht zum letzten Mal statt. Das wird spannend
Ein bisschen getrübt war die Stimmung bei der Pressekonferenz zum Festival „Pro Musica Nova“ schon. Der Chef der Kulturwelle Radio Bremen 2 (RB 2), Jochen Schütt, kündigte wegen der Kürzung des Finanzausgleichs an den Heimatsender eine schmerzhafte und konfliktreiche Phase der Neuorientierung an. Dass es nicht „ohne wahrnehmbare Verluste“ geht, betrifft natürlich auch eine so exklusive Welle wie RB 2. Über die Weiterführung der seit 1959 bestehenden weltweit rezipierten „Pro Musica Nova“ kann derzeit noch nichts gesagt werden. Das Festival ist allerdings gefährdet. Vieles wird davon abhängen, welche Kooperationen – regional und überregional, Sponsoring – man herstellen kann. An diesem Wochenende findet das Festival vielleicht zum letzten Mal in der traditionellen Größenordnung statt: die Pro Musica Nova 2000 mit dem Titel „Orte – Räume – Netze“.
Die Festivalleiterin Marita Emigholz: „Mir ist aufgefallen, dass immer mehr KomponistInnen bei Kompositionsaufträgen fragen: für welchen Raum?“ So konzipierte sie das diesjährige Festival mit insgesamt sieben Uraufführungen als eine Auseinandersetzung mit Räumen: Das Pier 2, der Schlachthof, der RB-Sendesaal, das Übersee-Museum, das Lichthaus, das Atelier im Volkshaus, das Internetcafé an der Weberstraße, die Schauburg und die Galerie Katrin Rabus sind die Aufführungsorte.
Es versteht sich von selbst, dass in der Auseinandersetzung mit Räumen auch traditionelle Hörgewohnheiten infragegestellt werden. So hat der Kalifornier Mark Trayle für das Übersee-Museum mit „True North“ ein Stück geschrieben, das ein wanderndes Quartett in einem komplizierten Verfahren mit Live-Elektronik überlagert (28.4., 18 Uhr). Vergleichsweise tradionell geht es dann zu beim Konzert des sagenhaften Schlagzeugers Isao Nakamura (28.4., 21 Uhr, Schlachthof). Viele der „Raumkomponisten“ kommen aus der bildenden Kunst, so auch der Lübecker Jan Peter E.R. Sonntag: Er wird im Pier 2 seine Kammeroper für einen Pianisten, eine Hula-Hoop-Tänzerin, einen Trommler, Violoncello, Bass-Posaune, einen Midiflügel, einen rotierenden Töner und quadrophones Soundsystem „ (uff!) vorstellen (29.4., 17 Uhr). Während der Pressekonferenz erzählt er schon mal, dass ihn hauptsächlich „psychoakustische Täuschungen“ interessieren und dass das Publikum sich als Teil „einer endlos drehenden Spirale“ fühlen soll.
Weiter geht's im RB-Sendesaal mit drei Uraufführungen von Günter Steinke, Hans Joachim Hespos und Helmut Oehring, der seine Auseinandersetzung mit der Gebärdensprache weiterführen wird (29.4., 20 Uhr, Bürgermeister-Spitta-Allee 45). „fragment opera“ der New Yorkerin Marina Rosenfeld sucht die Schnittstelle von komponierter Musik und visueller Kunst (29.4., 23 Uhr, Lichthaus, Use Akschen 4). Experimentelle Lust, die dieses Festival von vornherein auszeichnet, gibt es außerdem von den beiden Österreichern Sam Auinger und Rupert Huber: Sie bieten elektroakustische Musik im Internetcafé an der Weberstraße unter dem Titel „memoria/zeitdreieck“ (30.4., 14 Uhr, Weberstraße 18).
Philosophisch unterfüttert ist Johannes S. Sistermanns „Wie der Raum vergeht“ für drei Stimmen, MTS Membran Technik, live Radio, Tonband, Video und Leichenhalle (30.4., ab 17 Uhr, 1.5., ab 11 Uhr, Atelier im Volkshaus, Hans-Böckler-Straße 9). Erwin Stache aus Leipzig schrieb ein Konzert für „eigenwillige Soloinstrumente und elektromechanisches Kammerorchester“, es dürfte spannend sein, was er darunter versteht (1.5., 15 Uhr, Galerie Rabus, Plantage 13). Nach einem Konzert des estnischen Nyyd-Ensembles (30.4., 20 Uhr, Schauburg, Vor dem Steintor 114) bildet das United Ensemble Berlin den Abschluss mit der Aufführung von Werken des großen Erst- und Altmeisters der Raummusik, Luigi Nono (1.5., 18 Uhr, RB-Sendesaal). Ute Schalz-Laurenze
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