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Schönheit in Altrosa

Nur das Licht kann von einer Sekunde auf die andere Banales in Außergewöhnliches verwandeln: Die ifa-Galerie zeigt Arbeiten des russischen Fotografen Boris Savelev

Zwei alte Damen gehen einkaufen. Sie verschwinden in einem dunklen Geschäft, das man nur an der Aufschrift mit den Öffnungszeiten erkennt. Von der einen ist nur der Rücken zu sehen, von der anderen nur das Profil. Dem Fotografen Boris Savelev geht es nicht um Individuen, die Frauen sind auswechselbar. Doch sein Bild ist zweigeteilt. Links die zufällig festgehaltenen Statisten des Alltags, rechts die Beständigkeit der Lebenswelt, eine schnöde Telefonzelle. Ihr fehlt die Tür. Farbe hat das Häuschen auch schon lange nicht gesehen. Das Licht fällt durch die Scheiben und lässt die abbröckelnde Farbe besonders gut zur Geltung kommen.

Der dunkle Bildteil endet genau am Ladeneingang und wird vom hellen Part durch ein Stück Mauer getrennt, dass dank der Sonne wenigstens ein bisschen Schönheit in Altrosa ausstrahlt. Die Aufnahme entstand 1988 im ukrainischen Chernowitz, in der früheren Hauptstadt der Bukowina, einst Mittelpunkt jüdischen Lebens in Europa.

Dort wurde Boris Savelev1948 geboren. Er gilt seit den Achtzigerjahren als der bekannteste Vertreter der sowjetischen, nunmehr russischen Fotokunst. Seit 1982 lebt und arbeitet er als Künstler in Moskau, zuvor war er als Luftfahrtingenieur tätig. Vielleicht kommt daher seine Vorliebe für die konstruktivistisch anmutende Komposition seiner Fotografien, in denen Architekturdetails, Licht und Farben eine wichtige Rolle spielen und das Sichtbare in eine strenge geometrische Gestaltungsstruktur einbinden. Die Menschen in seinen Bildern aus Moskau, London oder New York wirken stets anwesend und abwesend zugleich – teilnahmslos warten sie darauf, dass etwas geschieht. Sie sind einfach da, eine Großstadt ohne Menschen gibt es eben nicht.

Das Foto „Bahnstation“ zum Beispiel zeigt Wartende. Links stehen Männer und Frauen auf der Straße. Durch Fensterscheiben getrennt von den im Warteraum Sitzenden. Die hocken im Schatten, die draußen sind im Licht. Boris Savelev richtet seine Kamera auf gewöhnliche Orte und alltägliche, unspektakuläre Begebenheiten. „Neue Anregungen des Blicks“, so der Künstler, „sind in den Dingen auffindbar, die uns ständig vor Augen stehen. Alles beruht auf dem Licht, dem Magier, der in einer Sekunde Banales in Außergewöhnliches verwandeln kann.“

Dabei lassen die Licht-Schatten-Kontraste, das Spiel der Farben und mitunter die Grobkörnigkeit der Abzüge seine Fotos oft „malerisch“ wirken. Keine Sozialkritik also, wie etwa bei seinem Kollegen Boris Mikhailow, der sich Straßenkindern oder Alkoholikern zuwendet. Savelevlenkt den Blick auf das gewöhnlich Übersehene, überlässt eine Wertung jedoch dem Betrachter.

ANDREAS HERGETH

Bis 28. Mai, Di.-So. 14-19 Uhr; ifa-Galerie Berlin, Neustädtische Kirchstraße 15, Mitte

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