: Tourismuskritik
Weit, weit weg vom fairen Handel. Eine Bilanz zur touristischen Industrie an konkreten Beispielen weltweit
Die touristischen Schäden an Umwelt und Gesellschaften der bereisten Länder sind vielfältig. So müllen beispielsweise Kreuzfahrtschiffe die empfindlichen Korallenriffe der östlichen Karibik mit jährlich 1.500 Tonnen Festmüll zu. Ein Desaster, für das sich niemand verantwortlich fühlt. Malaysische Bauern, ein anderes Beispiel, müssen hinnehmen, dass man ihnen buchstäblich das Wasser abgräbt – zur Berieselung von Golfplätzen. Immer noch ist es üblich, dass die Privatisierung der Strände mit einer Vertreibung der ansässigen Bevölkerung einhergeht. Oft im Einklang mit Regierungsprogrammen zur Modernisierung, denn Tourismus, so heißt es in schöner Einhelligkeit von Reisekonzernen, Weltbank und Regierungsstellen, bringe Arbeitsplätze und Devisen. Aus Bauern sollen Caddies werden.
Doch Profit aus dem Tourismus ziehen vor allem die Konzerne, schreibt Norbert Suchanek in seinem Buch „Ausgebucht – Zivilisationsfluch Tourismus“. Er rechnet vor, dass nur weniger als ein Drittel der Einnahmen in den Kassen eines Entwicklungslandes bleibt. Vom viel beschworenen Öko- oder Fair-Trade-Tourismus, der weltweit gefordert wird und dem selbst Multis wie die TUI das Wort reden, sei weit und breit nichts zu erkennen.
Suchanek, Korrespondent eines führenden touristischen Nachrichtendienstes und Mitglied des britischen Tourism Concern, hat knapp und faktenreich die touristische Industrie – vom Kreuzfahrttourismus bis zum Alternativtourismus – bilanziert. Ihren Erfolgsmeldungen hält er das umfangreiche Material über die Folgen entgegen und macht so deutlich, wie ungeachtet aller Nachhaltigkeitskriterien und auf den Rücken von Bereisten der schnelle Profit gemacht wird. Dass er in Fernflugtourismus, All-Inclusive und Kreuzfahrten die Wachstumsbranchen der Zukunft erkennt, verwundert kaum, folgen sie doch der Logik der Gewinnmaximierung, die den Veranstaltern möglichst alles und den Bereisten möglichst nichts vom Kuchen lassen will. Wenn nämlich beim pauschalen Flug-All-Inclusive-Arrangement auch alle Urlaubsgenüsse „aus einer Hand“ serviert werden, dann geht am einheimischen Taxifahrer, Andenkenhändler oder dem Kneipier das Geschäft mit den Touristen schlicht vorbei.
Um den „fairen Handel“ zu verwirklichen, müsste echter Ökotourismus die bestehenden Tourismusformen ersetzen, meint Suchanek. Bislang ergänze er diese nur. Und das nur unzureichend: Was immer sich mit einem Öko-Label schmücke, ob Jagd-, Natur- oder Abenteuertourismus, sei selten frei von harten Praktiken. Noch 1998 mussten etliche Hundert San (Buschmänner) ihr Land in der afrikanischen Kalahari verlassen, um einem Nationalpark Platz zu machen. Sie dürfen sich nun in eigens eingerichteten Dörfern als Attraktion für Naturtouristen zur Schau stellen.
Für seine kritische Darstellung des modernen Tourismus schöpft Suchanek souverän aus dem Material über Menschenrechtsverletzungen, aus internationalen Gutachten, Statistiken und Verlautbarungen. Die Inhalte sind nicht neu: Für die Ansprüche indigener Völker und die sinnvolle Nutzung der Ressourcen engagieren sich seit vielen Jahren tourismuskritische und Dritte-Welt-Gruppen. Suchanek schreibt diese Inhalte fort, er systematisiert und ergänzt sie.
Neu ist jedoch eine gewisse Milde gegenüber den sonst gescholtenen Alternativtouristen. Es sei nämlich gar nicht so schlecht, so gemächlich wie einstmals Goethe zu reisen, überlegt Suchanek. Auch wenn sich die Alternativtouristen und Backpacker von heute weder besonders sozial- noch umweltverträglich gebärden, so setzten sie doch immerhin ihre Reisekasse im Urlaubsland um. Die unspektakulärste Reiseform erweist sich nach Suchanek als die nützlichste. CHRISTEL BURGHOFF
Norbert Suchanek: „Ausgebucht – Zivilisationsfluch Tourismus“, Schmetterling-Verlag Stuttgart 2000, 139 S., 19,80 Mark
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