: Tonträger aus Fleisch und Blut
■ Beim pro musica nova-Festival von Radio Bremen trommelte Isao Nakamura im Schlachthof solo und unvernetzt
Die Komponistin Isabel Mundy nannte die Abschlussarbeit ihres Studiums am Pariser Elektronikstudio IRCAM „No one“ - und verstand Name und Streicherbesetzung als eine Art Protest gegen die zunehmende Elektrifizierung der neuen Musik. Das Solokonzert des japanischen Ausnahmepercussionisten Isao Nakamura war eines von insgesamt drei „No one“-Konzerten des Festivals „Orte-Räume-Netze“. Sie könnten als Fingerzeig verstanden werden gegen eine einseitige Begriffsbildung: Die Modevokabel Netz verweist eben nicht nur oberflächlich auf den Einsatz von Strom- und Datennetzen, sondern auf ein architektonisches Grundprinzip in der Musik schlechthin.
Ein echter „Tonträger“ kam aber im Schlachthof sehr wohl zum Einsatz. Allerdings hing er nicht an der Steckdose, sondern hatte zwei Arme und Beine, sah lustig aus und schleppte mit einer Art Bauchladen jede Menge klangbares Zeug ganz dienstbeflissen seinem gestrengen Boss Nakamura hinterher. Das Stück für stummen Knecht und lärmenden Herrn hieß „L'art brut“ und war von Mauricio Kagel, dem im wirklichen Leben ein Hang zur Miesmuscheligkeit nachgesagt wird, der aber auf der Bühne schon ganze Konzertsäle zum Kiechern und Wiehern brachte. Musikalische Ironie, so belegt Kagel immer wieder, muss nicht unbedingt im Ton selber drinstecken, sondern kann sich auch den mehr oder weniger grotesken Umständen seiner Erzeugung verdanken. Bei einem anderen Kagelstück demonstriert Nakamura, dass auch schon eine paar grüne und rote Zierbänder an einem Tamburin eine Veralberung bewirken. Wobei Nakamuras heulende Kehllaute, die so hautnah an den ernst gemeinten Vokalartistereien anderer Komponisten vorbeischrubben, diesen sanften Humor noch forcieren.
Begonnen aber hat das Konzert mit drei Stücken für vier Pauken von Elliott Carter, der mal sagte: „In meiner Musik scheint immer die leise unscheinbare Stimme den Sieg davonzutragen.“ Der organische Wechsel von Geklöppel und Pausen entspricht fast schon einer gesangsnahen Phrasierung. Und so stellt sich eine Konzentration und Ruhe ein, die das Ohr des Zuhörers zunehmend offener für die kleinen, feinen Obertöne machen, die sich über die rhythmische Struktur lagern. Noch minimalistischer sind die „Rebonds A und B“ von Iannis Xenakis. Bei wechselnden Betonungen über ähnlichen Schlagabfolgen erzeugt Xenakis immer wieder dieses merkwürdig schwebende Zeitgefühl zwischen Stillstand und Veränderung.
Auch „Ta-Ryong IV“ von der an der Bremer HfK unterrichtenden Younghi Pagh-Paan bringt die menschliche Aufnahmefähigkeit niemals in Bedrängnis. Nakamura lässt eine Perlenkette langsam über ein Trommelfell gleiten oder schwenkt versonnen eine rasselnde kleine Trommel, als gelte es jede Form von Hektik ein für alle Mal in die Flucht zu schlagen. Auch wenn er mit schmerzverzerrtem Gesicht einen Natur-Besen aus Ästchen und Zweigen bedient, verliert sich nicht der kontemplative Grundatem.
Um dieses kleine, feine, anti-spektakuläre Konzert über den Äther in die Haushalte zu transportieren, musste Radio Bremen die Bühne der Kesselhalle mit einem ganzen Stangenwald von Mikrophonen überziehen. Noch ist die Technik der Vernetzung eben oft viel komplizierter als die Inhalte selber. bk
Ein Festivalresümee von Ute Schalz-Laurenze voller Ein- und Ausblicke auf Entwicklungen zeitgenössischer Musik können Sie morgen an dieser Stelle lesen.
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