: Auftakt mit Zündstoff
Der 1. Mai in Kreuzberg begann friedlich. Die Polizei setzte zunächst auf Deeskalation. Doch ein Lautsprecherwagen wurde beschlagnahmt. In Hellersdorf marschierten 1.200 Neonazis
Der 1. Mai ist gestern in Berlin bis zum frühen Abend weitgehend friedlich geblieben. Erst am Abend zeichnete sich in Kreuzberg dann doch eine Konfrontation zwischen der linken Demonstration und der Polizei ab.
Zwar begann die „revolutionäre 1. Mai-Demonstration“ gegen 18 Uhr mit etwa 10.000 TeilnehmerInnen friedlich am Oranienplatz, doch diverse Maßnahmen der Polizei sorgten für ein Aufschaukeln der Stimmung. Noch vor Beginn der Demonstration beschlagnahmte die Polizei einen der beiden Lautsprecherwagen, weil er mit Stacheldraht „hochgerüstet“ war, so ein Polizeisprecher. Dabei wurden auch vier Mitgleider einer Punkband vorläufig festgenommen, weil sie „in Besitz von Schlagwerkzeugen“ waren. Beschlagnahmt wurde auch das Leitransparent mit dem Demonstrationsmotto „Imperialistische Zentren angreifen“. Die Polizei wollte überprüfen, ob es an Eisenstangen befestigt war.
Trotz der Ereignisse in Hellersdorf, dort hatten am Morgen etwa 1.200 Neonazis unter Polizeischutz demonstriert, war die Stimmung in Kreuzberg eher heiter und gelassen. Viele Teilnehmer erwarteten eher einen Kiez-Spaziergang als Auseinandersetzungen mit der Polizei. Auch die Straßencafés an der Demo-Route waren stark frequentiert.
Mit insgesamt 6.400 Einsatzkräften handelte es sich gestern um einen der größten Polizeieinsätze der letzten Jahre. Doch hielten sich die Beamten bis Redaktionsschluss auffallend zurück. Die Vorkontrollen fanden ungewöhnlich höflich statt. Den Ordnungshütern schien in diesem Jahr eher an der Einhaltung der Lärmvorschriften gelegen zu sein. Auf Flugblättern wiesen die Beamten darauf hin, dass die Lautsprecher nicht mehr als die Freizeitlärmrichtlinie für „seltene Ereignisse“ überschreiten dürfe. Gleichwohl war die Polizei für alle Fälle gewappnet. Allein am Moritzplatz standen vier Räumfahrzeuge und Wasserwerfer.
Am Mittag hatten etwa 1.200 Neonazis in Hellersdorf eine Kundgebung abgehalten. Die geplante Gegendemonstration der Antifaschistischen Aktion war verboten geblieben, dennoch hatten einige Hundert Antifaschisten gegen die Rechtsextremen protestiert. Außerdem feierten viele Hunderte in Hellersdorf ein friedliches Fest gegen rechts.
Auf einem nur mittelmäßig besuchten Fest in der Bergmannstraße trug die Polizei gestern in Kreuzberg zur Deeskaltion bei. Beamte der Wasserschutzpolizei und der Reiterstaffel spazierten über die Meile und parlierten mit den Bürgern. Das Sportfest war Teil des polizeilichen Konzepts AHA, mit dem erlebnishungrige jugendliche Mitläufer von Randale abgehalten werden sollten. Dass es sich bei den anwesenden Jugendlichen in der Bergmannstraße wirklich um die gemeinte Zielgruppe handelte, darf bezweifelt werden. Spaß hatten sie allemal. „Wir hätten sonst woanders Streetball gespielt“, versicherte ein 18-jähriger Jugendlicher. Zur Mai-Demo wäre ohnehin nicht gegangen. „Das ist doch langweilig geworden. Die Bullen, die da immer noch hinmüssen, tun mir schon fast Leid.“
Am Tag der Arbeit demonstrierten auch die Arbeitnehmer. Rund 10.000 Menschen versammelten sich unter dem DGB-Motto „Jetzt aufbrechen: Für mehr Beschäftigung“ vor dem Roten Rathaus. Auf mehreren Routenwaren sie zum Alexanderplatz gezogen. Erstmals hatte der DGB auch eine Roller-Blade-Rundfahrt organisiert, an der sich nur mehrere hundert Jugendliche beteiligten. Aus dem Lautsprecherwagen der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft dröhnte Crossover, der der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) lieferte traditionelles Liedgut wie „Avanti, popolo“ und „Voran an Geschütze und Gewehre“.
Auf dem Alex dann das traditionelle Bild: Bier, Bratwurst, bunte Transparente. „Hände weg von Arbeitszeit und Lohn, die Arbeitshetze reicht uns schon“, „Suche Informatik-Lehrer“ oder „Recht auf Arbeit – Pflicht zum Widerstand“ stand unter anderem darauf. Während die Demonstranten artig die Forderungen der HBV-Vorsitzenden Margret Mönig-Raane nach Umverteilung von Arbeit und Einkommen beklaschten, kam kurz Stimmung auf, als die Rednerin den Neonazi-Aufmarsch in Hellersdorf ansprach. Buhrufe schallten über den Platz, und die Forderung nach dem Verbot solcher Veranstaltungen wurde kräftig beklatscht. plu/rot/dhe/sandwera/babs/wahn
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