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Demo: „Berlin hat's, Bremen braucht's“

■ Ein Anti-Diskriminierungsgesetz – wie in Berlin – ist in Bremen überfällig: Vier Jahre liegt der Entwurf schon vor, eine Umsetzung ist nicht in Sicht / Gestern demonstrierten 600 Behinderte

In Bremen sind gestern 600 Behinderte auf dem 8. Bremer Protesttag auf die Straße gegangen. Ihre Forderung: „Berlin hat's, Bremen braucht's!“ Es ging ihnen dabei um ein Anti-Diskriminierungsgesetz ähnlich wie in Berlin.

Die Idee dazu kam aber eigentlich aus Bremen: ein Gesetzentwurf für die Gleichstellung behinderter Menschen. Der galt bundesweit lange als richtungsweisend. Blieb in Bremen aber jahrelang in den Schubladen des Petitionsausschusses schlummern. Berlin dagegen hat die Idee jetzt erstmals umgesetzt: Vergangenes Jahr wurde auf der Grundlage des Bremer Entwurfs erstmals ein Anti-Diskriminierungsgesetz durchgesetzt.

Im Vordergrund der gestrigen Aktionen stand der Erfahrungsausstausch mit Berlin. In verschiedenen Arbeitsgruppen wurden die Vor- und Nachteile des Berliner Anti-Diskriminierungssetzes diskutiert, das längst nicht so weitreichend ist wie der Bremer Entwurf. Die Forderungen der rund 200 Behinderten anschließend im Behindertenparlament gingen aber viel weiter: Sie wollen zum Beispiel die Einsetzung eines parlamentarischen Behindertenbeauftragten. Ebenso das Verbandsklagerecht, „damit wir nicht länger Bittsteller, sondern Rechtsperson sind“.

Doch aller Wahrscheinlichkeit drohen die Forderungen wieder mal in den Verwaltungsschreibtischen zu verschwinden, fürchten die Landesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte (LAG). Denn bislang wurde herzlich wenig umgesetzt: „Der einzig greifbare Erfolg in den letzten Jahren war eine Änderung in der Landesbauordnung“, erklärt Mattias Weinert von der LAG: Die sieht nun einen zweiten Handlauf bei mehrgeschossigen Treppenhäusern vor.

Dabei ist in der Landesverfassung die Gleichstellung Behinderter seit 1997 festgeschrieben. Der Staat fördere die gleichwertige Teilnahme in der Gemeinschaft, heißt es. Doch darüber können die Verbände nur lachen: Denn das was die Verfassung programmatisch verspricht, ist juristisch nicht einklagbar, erklärt Weinert: Der Paragraph blieb fast völlig wirkungslos.

Bis zuletzt hatten die Behindertenverbände überlegt, den Protesttag ganz zu streichen. Denn politisch stieß man bislang nur auf Widerstand. „Zu teuer“ – der übliche Kommentar. Die Verbände waren langsam mürbe geworden. Doch mit dem Berliner Anti-Diskriminierungsgesetz und einer geplanten Gesetzesinitiative des Bundesregierung hoffen die Verbände jetzt auf „Rückenwind“ für Bremen.

Erste Reaktionen der Politiker auf den Protesttag lassen leise Hoffnung keimen: Sozialsenatorin Hilde Adolf (SPD) versprach, die angekündigte Teilhabe behinderter Menschen „nach Kräften zu fördern“. Für den sozialpolitischen Sprecher der SPD, Frank Pietrzok, ist klar, dass „wir noch in dieser Legislaturperiode an ein Gesetz ran müssen“. Allerdings dürfe man sich damit keine Kosten einhandeln, die das Land nicht abdecken könne. Beim Koalitionspartner CDU sieht man ebenfalls Nachholbedarf: Nur wären die meisten Forderungen mit dem derzeitigen Haushalt nicht zu realisieren. Die CDU hofft deshalb auf die Bundesregierung. „Wenn deren Gesetzesinitiative die Länder in Zugzwang setzt, wird sich Bremen beteiligen müssen.“ Und dann auch Mittel im Haushalt dafür bereitstellen. pipe

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