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„Boygroups! Jesus Christus“

Deftige Slangausdrücke, pubertierende Schlächterburschen und Abgründe wie bei David Lynch. Der irische Schriftsteller Patrick McCabe liest heute im British Bookshop. Ein Porträt

von RALF SOTSCHECK

Eigentlich wollte er lieber Rockstar werden, aber dann wurde er Schriftsteller. Und was für einer – Pat McCabes Romane sind von einem Witz, der bei seinen Lesungen besonders gut zur Geltung kommt. Wenn man Glück hat, greift er dabei zur Gitarre oder setzt sich ans Klavier und singt ein Lied, und das kann er fast genauso gut wie das Schreiben. Früher tingelte er mit der Oklahoma Showband durch Irland, sein Heimatland, und spielte Country and Western. „Die Tourneen waren großartig, aber wir spielten leider ziemlich beschissen“, sagt er.

McCabe wurde 1955 in Clones geboren, einer Kleinstadt in der Grafschaft Monaghan an der inneririschen Grenze. Nach der Schule studierte er, wie sein Dubliner Schriftstellerkollege Roddy Doyle, am Nord-Dubliner St. Patrick's College Pädagogik und wurde Grundschullehrer. Nebenbei schrieb er Kurzgeschichten, die in irischen Tageszeitungen veröffentlicht wurden, und für eine von ihnen erhielt er 1979 den Hennessy-Preis. „Kurzgeschichten verkaufen sich nicht“, sagte McCabe damals. „Wenn du vom Schreiben leben willst, musst du Romane und Drehbücher schreiben.“

Während er in Balbriggan, einem tristen Kaff 20 Kilometer nördlich von Dublin, unterrichtete, schrieb er den Roman „Music on Clinton Street“, der 1986 erschien und bisher nicht ins Deutsche übersetzt ist. „Ich glaube, zehn Leute haben das Buch gekauft“, meint McCabe, „alle reden jetzt von der Talentschwemme in der irischen Literatur, aber die gab es damals auch, bloß interessierte das keinen. Irland war Mitte der Achtziger nicht angesagt, wir steckten mitten in einer Rezession.“

1987 zog McCabe mit seiner Frau und den zwei kleinen Kindern nach London: „Es war keine Emigration, ich bin bloß für eine Weile weggegangen und fand es toll.“ Er unterrichtete autistische Kinder und schrieb nebenbei „Carn“, das auf deutsch unter dem Titel „Stadt an der Grenze“ erschien. Carn, das im Irischen ein Heidengrab bezeichnet, liegt wie Clones an der inneririschen Grenze und verwahrlost, als 1959 die Bahnlinie stillgelegt wird. „In meinen Dörfern geht es zu wie in den Filmen von David Lynch“, sagt McCabe. „Hinter dem schönen weißen Zaun liegen irgendwo abgehackte Ohren.“

Mit seinem nächsten Buch, „The Butcher Boy“, wurde McCabe auch außerhalb Irlands bekannt. Es geht um einen Zwölfjährigen, der im Irland der Sechzigerjahre während der Pubertät in die emotionale Isolation gerät und scheinbar grundlos eine Nachbarin ermordet. Dennoch ist es ein komisches Buch, in dem die Gesellschaft und die katholische Erziehung gnadenlos unter die Lupe genommen werden.

„Der Schlächterbursche“ gewann den hochdotierten Literaturpreis der Irish Times und wurde für den Booker-Preis nominiert. McCabes Landsmann Neil Jordan hat das Buch verfilmt, beide schrieben das Drehbuch gemeinsam. Gedreht wurde in Clones, McCabes Heimatort, und die Bewohner waren so begeistert, dass sie ihn zum „Monaghan-Mann des Jahres“ wählten. Später adaptierte McCabe den Roman zu einem Theaterstück. Dabei hatte der Verlag das Manuskript zunächst abgelehnt.

Heute ist McCabe dankbar dafür, er überarbeitete es grundlegend, aber der Erfolg brauchte seine Zeit. „Ich konnte zunächst nicht davon leben. Da ich für meine Familie sorgen musste, konnte ich den Lehrerberuf noch nicht aufgeben. Aber das Buch öffnete Türen. Leute, die dich vorher hinausgeworfen hätten, warteten nun mit hängender Zunge auf dein nächstes Werk.“

Das war „The Dead School“, das auf Deutsch unter einem Bandwurmtitel erschien: „Von Hochzeit, Tod und Leben des Schulmeisters Raphael Bell und wie dem Affengesicht Malachy Dudgeon die Liebe abhanden kommt“. Ein Doppelroman um zwei ehemalige Schulmeister, beide aus dem selben Provinzort, der eine 1913 geboren, der andere 1956. Seiner deftigen, mit Slangausdrücken unterlegten Sprache, die mit verschiedenen Registern spielt, blieb McCabe treu.

Diesen Erzählstil behielt er auch in den folgenden Büchern bei: „Breakfast on Pluto“ über den Transvestiten Patrick „Pussy“ Braden und „Mondo Desperado“, eine Sammlung von Kurzgeschichten, die erst im Frühjahr 2001 auf Deutsch erscheinen werden. Beide Werke stehen immer noch im Schatten des „Schlächterburschen“.

Für Dublin, Irlands Hauptstadt, hat McCabe nur Verachtung übrig. „Das ist schlimmer als Britannien unter Thatcher“, sagt er. „Dort gab es wenigstens eine Gegenkultur, die sich heftig gegen den ganzen Mist gewehrt hat. Hier gibt es nichts. Kein politisches Bewusstsein, kein radikaler Gedanke. Das zeigt sich in allen Bereichen, am meisten aber in der Musik. Boygroups! Jesus Christus, wer hätte gedacht, dass wir so etwas erleben müssen.“

Patrick McCabe liest heute Abend um 19:30 Uhr im British Bookshop, Mauerstraße 83/84, Mitte

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