: Kapitalismus neu erfinden
Die Jungunternehmer Manyas und Vogel träumen davon, mit der Internet-Firma capitalism 21 reich zu werden. Ihr Vorbild sind englische Piraten aus dem 18. Jahrhundertvon KIRSTEN KÜPPERS
Das war es wieder nicht: Cueneyt Manyas und Maximilian Vogel schlichen mit 20 Stundenkilometern auf Nebenstraßen in die Stadtmitte Berlins. Am Heck des Opel Ascona hing auf einem nicht zugelassenen Anhänger ein ausgebranntes Holzboot.
Kurz hatten sich die beiden als stolze Yachtbesitzer mit Barbetrieb am Wannsee geträumt. Doch der Kahn aus der Anzeige hatte sich als löchriges verkohltes Wrack entpuppt. Weil aber der Weg ins Brandenburgische Flachland weit und die beiden Männer stolz gewesen waren, nahmen sie das Boot trotzdem mit nach Berlin. Eine neue Idee zum Reichwerden war baden gegangen.
Das neueste Projekt der beiden 30-Jährigen könnte besser ausgehen. Jetzt sind Cueneyt Manyas und Maximilian Vogel Gründer der Internetfirma „capitalism 21“, kurz „cap 21“.
Die Zeiten, in denen sie mit Studium und Romanschriftstellerei, mit Videos über die Love-Parade, einem Strandlokal in der Türkei, Rhetorik-Schulungen für Bestatter oder Caipirinha-Verkauf aus einem Campingbus das große Geld machen wollten, sind vorbei.
Jetzt sind die beiden Profis, haben Informationswissenschaften und Philosophie studiert und bei IBM gearbeitet. Wenn der Internet Start-up ihrer Firma klappt, wie Neugründungen im Fachjargon genannt werden, sind Vogel, Manyas und ihre Anteilseigner in ein bis zwei Jahren gemachte Leute.
Und damit typische Berliner Computerfrickler, die die aktuelle Goldgräberstunde von Internet und neuem Markt nutzen, um als Jungunternehmer ihre Karriere von der Garagenklitsche zum Hochglanzbüro zu basteln und dabei ganz nebenbei „den Kapitalismus neu zu erfinden“, wie Vogel es großspurig nennt.
Die Idee ist simpel: Manyas und Vogel wollen im Netz eine Plattform aufbauen, von der Produkte wie eine Wissensdatenbank für die Informationstechnologie-Branche oder ein Satiremagazin abrufbar sind. Werbung auf der Plattform soll die laufenden Kosten finanzieren.
Um die Plattform aufzubauen sollen künftige Anteilseigner – so die den Kapitalismus neu erfindende Geschäftsidee – Arbeit anlegen, statt Geld. Als Gegenleistung bekommen die Investoren Anteile an capitalism 21, die beim geplanten Börsengang der Firma in knapp zwei Jahren in Aktien umgewandelt werden sollen. Weil Internetwerte am Neuen Markt selbst bei geringen Umsätzen eine hohe Kapitalisierung versprechen, lohne sich der Einsatz der Anleger, die gleichzeitig zu Mitgründern bei cap 21 avancieren, da sind sich die beiden erfolgsorientierten Jungunternehmer sicher.
Ihr Erfolg hängt von der Mitarbeit qualifizierter Gründer ab. Diese können zum Beispiel Beiträge für verschiedene cap 21-Produkte schreiben oder designen. Sobald die Firma genügend Wagnis-Kapital gesammelt hat, geht cap 21 ans Netz. Das, da sind sich Vogel und Manyas sicher, wird innerhalb des nächsten halben Jahres sein.
Beteiligt sind bislang ein Dutzend Programmierer, Concepter, Designer und Journalisten. Sie alle sind zwischen 23 und 32 Jahre alt, alle haben Berufserfahrung. Der Businessstart hält sie schwer beschäftigt. Maximilian Vogel und Cueneyt Manyas gründen gerade eine GmbH, überreden Freunde und Verwandte zum Investieren, haben Rechner gekauft.
Ihr Büro liegt in einem ehemaligen Stasi-Verwaltungsgebäude in der Greifswalder Straße. Über den alten DDR-Mief tapezierten sie eine Fototapete mit Südseepalmen.
Wichtig war den beiden Jungunternehmern die Lage in den Bezirken Mitte oder Prenzlauer Berg. Dort tummeln sich die Multimedia-Neugründungen Berlins, ihre Protagonisten grüßen sich beim Thai-Imbiss von Kollege zu Kollege. „Wir leben von unserem Humankapital. Deswegen können wir unsere Leute nicht nach Nirgendwo holen“, meint Vogel dazu.
Zur Mitarbeitermotivation von cap 21 gehören eine szenekompatible Geschäftsadresse und eine Espresso-Maschine ebenso wie das Versprechen von Kompagnon Manyas, einmal pro Woche bei Spagetti-Western-Musik Pasta zu kochen.
Dass ambitionierte Jungunternehmen wie cap 21 und mit ihnen derlei eitle Attribute boomen, liegt nicht nur an der hierarchiearmen Wachstumslandschaft Internet, die eigenes Chefsein ohne jahrelanges Buckeln ermöglicht. Auch ohne hohe Kosten kann man im Netz weltweit präsent sein. Dazu kommen die jungen Firmen – im Gegensatz zu fast allen anderen Wirtschaftszweigen – leichter an Wagniskapital und an die Börse. Das liegt weniger an der Qualität des einzelnen Auftritts, als an den hohen Erwartungen an die Internetbranche ganz allgemein.
Cap 21 hat sich Berlin ganz gezielt als Standort ausgesucht, obwohl man ein Internet-Business theoretisch überall aufstellen kann, wo es eine Buchse für Telefonleitung, Modem und Computer gibt. „Wir wollten nach Berlin, weil es hier mehr Talente als Jobs gibt“, sagt Vogel.
„Außerdem sind junge Leute hier ausprobierlustiger als anderswo.“ Das liege, vermutet Vogel, auch an dem vielen freien Raum in Berlin. Mietflächen gibt es in Abbruchhäusern genauso wie in Toplagen am Potsdamer Platz. „Jede Brache hier hat den Aufforderungscharakter, sie sich anzueignen, etwas daraus zu machen.“
Dazu käme eine ausgeprägte, nicht kriminelle Schattenwirtschaft. In den künstlerischen Nischen, in Bars und Clubs etabliere sich eine eigene „Schule zum Unternehmertum, fernab vom offiziellen Berlin eines Herrn Diepgen“.
Manyas und Vogel haben diese „Ausbildung“ selbst durchlaufen und sind entsprechend skeptisch gegenüber den Förderprogrammen des Berliner Senats. Zwar habe man einmal eine Gründermesse besucht und sich über Fördermöglichkeiten der Kreditanstalt für Wiederaufbau informiert, doch der „ungeheure Bürokratiekram schreckt ab“, meint Vogel, der sich derzeit von Steuerrichtlinien, Gesellschaftsverträgen und GmbH-Formalitäten überschüttet sieht.
Seine Vorbilder sind englische Piraten des 18. Jahrhunderts und die spanischen Conquistadores. „Diese Typen sind die Urbilder des europäischen Unternehmers“, die es auch ohne CDU-Förderprogramme geschafft hätten. „Irgendwann muss man eben entscheiden“, sagt Vogel, „ob man einer der vielen angstgesteuerten Warmduscher sein will, die sich jeden Tag freuen, wieder etwas in die Rentenkasse zu zahlen, oder ob man was anderes will.“
ZItat:„In Berlin gibt es mehr Talente als Jobs und die jungen Leute sind ausprobierlustiger als anderswo.“
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