: Ziel: Unbedingt verfehlen
In seinem Film „Die Frau auf der Brücke“ erzählt Patrice Leconte von einem Glück auf Messers Schneide
Dass minus mal minus plus ergibt, ist die wohl meistbemühte Metapher für Konstellationen, die plötzlich und wider Erwarten in ihr Gegenteil umschlagen. In Patrice Lecontes Film „Die Frau auf der Brücke“ treffen zwei Unglücksraben zusammen und haben auf einmal Glück. Tatsächlich ist es eine Art mathematisches Glück, eines gegen die Unwahrscheinlichkeit von Hauptgewinnen bei Tombolaverlosungen und richtig gesetzten Zahlen im Roulette. Keines, das ihre Herzen sofort füreinander erwärmen würde. Denn die Bindungsfähigkeit von Glück wird hier erst auf die Probe gestellt.
Vanessa Paradis spielt die Kindfrau Adèle; bis ans Ende der Welt wollte sie schon einem Mann folgen und kam dann doch nur bis Limoges. Zahlreiche Erfahrungen wie diese lassen sie in einer kalten Nacht auf einer Pariser Brücke den selbst gewählten Tod ins Auge fassen. Wir wissen, dass sie nicht springen wird, denn schließlich ist dies erst der Anfang des Films. Da tritt auch schon Daniel Auteuil heran – ein denkbar düsterer Rettungsengel, zynisch und mit provokanten Vorschlägen. Er suche verzweifelte Frauen. – Was er mit ihnen vorhabe? – Verfehlen.
Eine ziemlich präzise Darstellung seines Berufs, denn Auteuil verkörpert Gabor, einen Messerwerfer. Das Ziel zu sein, das nicht getroffen werden darf, welch berückend verführerischer Antrag! Bei Leconte wird ganz auf Risiko gesetzt: Indem Gabor mit allerlei Tricks die vom Schicksal gebeutelte Adèle zum Glücksbringer erklärt, macht er aus seiner Nummer tatsächlich einen Akt der Lotterie. Und bringt das Publikum, auch das im Kino, dazu, jeden Wurf, gleich einem Schicksalszug, mit banger Erwartung zu verfolgen.
So geschieht ein kleines Kinowunder: Mit Adèle beginnt man, die scharfe Mischung aus Angst und Vergnügen zu genießen. Während sie sich in immer größerer Hingabebereitschaft gleichsam Gabors Messern entgegenschmiegt, gibt man sich mehr und mehr den kruden Einfällen dieses Filmes hin. Unirritiert selbst durch die kleinen Kratzer, die Gabor Mal für Mal in den Körper seiner Dame ritzt. Denn „Die Frau auf der Brücke“ ist ein Film, der keineswegs wie das Leben sein will. Eher wie eine versponnene Idee.
Darin ähnelt er stark einem anderen Film von Leconte, dem „Mann der Friseuse“, der nichts weiter ist als ein Film über einen Mann, der schon als kleiner Junge unbedingt eine Friseuse heiraten will und es dann auch tut. Und damit die für das Kino doch seltene Geschichte einer Sehnsucht erzählt, die erfüllt wird, ohne sich aufzubrauchen. Im „Mann der Friseuse“ wird das Glück erreicht; in der „Frau auf der Brücke“ wird es abergläubisch beschworen und bleibt doch flüchtig. In Schwarzweiß hat Leconte diesen Film gedreht; wie er selbst sagt, einer Eingebung folgend.
Was Eingebungen auszeichnet, ist, dass man sich im Nachhinein die Dinge gar nicht mehr anders vorstellen kann. Die Glitzerwelt des Varietés mit seinen Paillettenkleidern und bunten Kostümen bekommt in Schwarzweiß eine nostalgische Aura, eine ganz eigene Sinnlichkeit, unwirklich und doch zum Greifen nah. Indem es die Farben sozusagen verbirgt, macht es andere Dinge sichtbar.
Müsste man das Genre dieses Films benennen, läge man mit „exzentrischer Komödie“ vielleicht gar nicht so falsch. Nicht weil er so schrecklich lustig wäre, sondern weil er in seiner Dramaturgie von tollpatschiger Begegnung, Zwangsgemeinschaft, Trennung und Wiederbegegnung den Spuren alter Screwball-Comedies folgt. Die Stationen der Reise, die dieser Film beschreibt, gehören dagegen eher zum Muster der guten alten französischen Thriller: aus dem dunklen Paris in die Kasinos der Mittelmeerküste und von dort wieder auf die Hochseejacht bis nach Instanbul.
Auch dort gibt es schließlich Brücken, auf denen sich die Verzweifelten begegnen. Vielleicht schweißt ja letztlich gemeinsames Unglück am besten zusammen. Eben in der Wendung der Negation der Negation: Wir können so nicht weitermachen – nicht zusammen zu sein.
BARBARA SCHWEIZERHOF
„Die Frau auf der Brücke“. Regie: Patrice Leconte. Mit: Daniel Auteuil, Vanessa Paradis u. a. Frankreich 1999, 95 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen