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Diese Stadt hat den Schwibbogen*-Look

■ Was fällt einem auf, der für ein paar Wochen zum Arbeiten nach Bremen kommt? „Blaue Pferde, schwimmende Vornamen, seltsame Debatten und Maulkorb-Erlasse“, antwortet der Dramaturg Helge-Björn Meyer / Ein Reisebericht

Helge-Björn Meyer ist ein quirliger Typ und läuft mit offenen Augen durch die Gegend. Auch in Bremen hat sich der 30-Jährige umgesehen. Und das schon zum zweiten Mal. Denn nach der „Hexenjagd“-Inszenierung von Konstanze Lauterbach betreut Helge-Björn Meyer als Gastdramaturg am Bremer Theater jetzt die Einstudierung von Woody Allens „Kugeln überm Broadway“ durch Siegfried Bühr. Um die sechs Wochen dauert so ein Aufenthalt. Ein Dramaturgen-Arbeitstag ist zwar ziemlich vollgestopft mit Probenbesuchen, der Zusammenstellung des Programmheftes oder der Organisation von Begleitveranstaltungen. Trotzdem hat Helge-Björn Meyer Zeit gefunden, auch außerhalb des Theaters in Bremen Beobachtungen zu machen. Wir haben ihn gebeten, seine Eindrücke aufzuschreiben. Et voila: Hier sind sie.

Der Besucher weilt zum zweiten Mal für längere Zeit in Bremen. Die Stadt ist hübsch, und die Leute sind nett. Doch manchmal wäre der Besucher am liebsten überstürzt wieder abgereist. Nicht, dass hier nichts los wäre. Dass Bremen beispielsweise eine rege Musikstadt ist, hat den Besucher überrascht. Trotzdem muss er von Zeit zu Zeit den Kopf schütteln – vor allem, wenn er das Bremer Kulturleben betrachtet.

Da existiert ein Theater, das in allen drei Sparten zu den führenden in ganz Deutschland gehört – mit einer Truppe wunderbarer Schauspieler, mit einem international gefragten Tanztheater, mit herausragenden Operninszenierungen und besonders mit einem interessierten Publikum. Hier machen sich Schauspieler (noch) Gedanken über ihr Theater und fragen nach der Stellung des Theaters in der Gesellschaft. Doch die Mitglieder des Theaters müssen von den Stadtoberen dauernd ihre Existenz in Frage stellen lassen. Da wird jeden Tag bis zum Umfallen gepowert – was aber einige Politiker wenig interessiert. Kunst und Kultur scheinen in Bremen nach dem Marktwert beurteilt zu werden. Subventionen werden nicht als Investitionen in die Bildung (!) der Bewohner dieser Stadt gewertet, sondern als Finanzspritzen wie für einen heruntergekommenen Industriebetrieb.

Diese Auffassung wird erschreckenderweise nicht nur von Politikern vertreten, sondern auch von Journalisten. Der Direktor des Neuen Museum Weserburg kritisiert öffentlich ein Werbe-Objekt zur Ausstellung „Der Blaue Reiter“, und schon wird ihm in der Lokalpresse ein Maulkorb verpasst: Er sei Subventionsempfänger und in sein Museum verliefen sich pro Tag nur eine Handvoll Menschen – also habe er den Mund zu halten.

Kurze Zeit später erscheint in einer anderen Lokalzeitung ein Artikel, der sich mit dem Nutzen von Kultur auseinandersetzt und zum bedenklichen Fazit kommt, dass Kultur von wenigen Menschen für wenige Menschen geschaffen würde, dass eben jene Macher eine elitäre Gruppe seien, die nichts Neues produzieren würden und sich im Kreis bewegten. Insofern seien Subventionen fragwürdig, da sie nur jener kleinen Gruppe zu Gute kämen (Arnulf Marzlufs „Betriebskosten für eine Trivialmaschine“; Anm. d. Red.).

Dieses Gerede könnte der aus dem Ostteil des Landes herangereiste Besucher ignorieren, wenn ihm die Folgen solcher Debatten – nämlich als kultureller Kahlschlag – nicht zu bekannt wären. Der Besucher denkt: Warum sollte hier nicht ein anderes Stück „Ost“ von „drüben“ übernommen werden. Vielleicht wäre es nicht schlecht, einen „Runden Tisch“ zu bilden, an dem all jene öffentlich in einen Dialog treten, die für die Bremer Kultur verantwortlich zeichnen, also Politiker, Kulturmacher und Vertreter der Wirtschaft.

Neben der kulturpolitischen Diskussion ist auch der Kunstgenuss selbst für den auswärtigen Besucher in Bremen anders als in heimischen Gefilden. Bildende Kunst der Gegenwart kommt – von der musealen Präsentation in der Weserburg und den engagierten Ausstellungen im „Kulturbahnhof Vegesack“ abgesehen – in der Stadt kaum vor. Dass es in Bremen sogar eine Hochschule für Künste gibt, überrascht doch stark, da von Impulsen für die bildenden Künste, die auch von dieser Hochschule ausgehen müssten, nichts zu bemerken ist.

Junge Künstler und Ausstellungsmacher scheinen in der Stadt ein „Insider-Dasein“ zu fristen. Woran liegt es? Entweder gibt es von der Seite der Künstler kein Interesse, in der Stadt auszustellen, oder der Überlebenskampf muss so hart sein, dass der Schritt an die breitere Öffentlichkeit unmöglich ist. Entsprechend bleiben dem interessierten Besucher eine Reihe von Galerien, die, statt Orte der Kommunikation über Positionen zeitgenössischer Kunst zu sein, vielfach eher den Namen Kunsthandlung oder Wohnausstatter verdienen. Schade, denn dass es in Bremen Potenzial geben muss, belegt eine Zeitungsinformation über einen Bremer Künstler, der mit einer Video-Installation bei einem internationalen Wettbewerb vor kurzem den 1. Preis gewann.

Der Besucher kann aber auch in die Kunsthalle gehen, um Werke der Malergruppe „Der Blaue Reiter“ zu besichtigen. Allerdings ist ihm nicht so recht klar, weshalb gerade jetzt, an gerade diesem Ort gerade diese Ausstellung gezeigt wird. Rührend bemüht wirken dagegen die vielfältige Werbemaßnahmen für diese Exposition: Da wird gesägt, geleimt und gebastelt, um möglichst viele Bremer und deren Gäste zum Besuch der Ausstellung zu bewegen. Und trotzdem werden all diese neckischen Unternehmungen – wie Wegweiser im erzgebirgischen Schwibbogen-Look*, blaue Pappmaché-Pferde oder schwimmende Vornamen (Monika? Dieter? Klaus-Peter?) – in ihrer Jahrmarktsoptik weder der Exposition noch dem „Blauen Reiter“ gerecht. Vielmehr wird nur der gewaltige finanzielle Druck deutlich, unter dem die Veranstalter stehen müssen. Dies verwundert den Besucher insofern, als eine „Blauer-Reiter“-Ausstellung inzwischen zu den Zugpferden im Ausstel-lungsbetrieb gehören dürfte.

Am Abend bleibt dem Besucher ein Gang ins Theater. Und da hat er die Qual der Wahl. Vielleicht besucht er mal das Musical-Theater. Immerhin gehen dort sogar die Vertreter des Kochvereins in ihrer Berufskleidung hin. So haben sie sich jedenfalls zusammen mit dem Hauptakteur von der Bremer Lokalpresse ablichten lassen. Der anschließende Theaterbesuch muss sehr komisch gewesen sein: 40 weiße Kochhauben in Reihe 4 blockieren den Blick auf die Bühne. Oder war auch das nur ein PR-Gag? Der Besucher glaubt inzwischen, das sei eine Bremer Spezialität: Werbung, die keiner versteht.

Helge-Björn Meyer

Der Autor ist 30 Jahre alt, lebt in Leipzig und arbeitet als freier Dramaturg unter anderem mit Ismael Ivo, Marcia Haydee, Konstanze Lauterbauch und Yoshi Oida.

* Schwibbogen – auch Schwebebogen; Bogen ohne darüber lastendes Mauerwerk

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