: Gewerkschaften lassen Muskeln spielen
■ Warnstreiks im öffentlichen Dienst legten gestern öffentliche Einrichtungen stundenlang still / Arbeitnehmer fordern fünf Prozent Einkommenszuwachs und Übernahmegarantie für Azubis
Auch Bremen stand gestern im Zeichen bundesweiter Streiks: Vor der dritten Runde der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst verliehen die Arbeitnehmer ihren Forderungen gestern mit mehrstündigen Warnstreiks Nachdruck. Die Gewerkschaften fordern Einkommensteigerungen in Höhe von fünf Prozent und eine zügige Angleichung der Ost-Einkommen. Außerdem sollen zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen und die Absolventen nach Ausbildungsabschluss für mindestens ein Jahr übernommen werden.
Vor allem letztere Forderung erhoben etwa 300 Pflegeschüler und Auszubildende der Kommunalverwaltung lautstark. Unter dem Slogan „Übernahme her – sonst geben wir keine Ruhe mehr“ zogen sie mit Tröten und Trillerpfeifen bewaffnet zum Amtssitz von Sozialsenatorin Hilde Adolf (SPD) am Rudolf-Hilferding-Platz. Die stellte sich dem Protest: Mit einigen Mitarbeitern kam sie vor das Gebäude und nahm hunderte von Krankenhaus-Bewerbungen entgegen, an die Luftballons geheftet waren. Die Senatorin äußerte Verständnis für die Sorgen der Auszubildenden und sagte zu, sich für eine Übernahme von möglichst vielen KrankenpflegeschülerInnen in den kommunalen Krankenhäusern einzusetzen. Um die Grenzen ihrer Macht aufzuzeigen, empfahl Adolf den Protestierenden jedoch, sich einmal umzuwenden und auch dem Finanzsenator einen Besuch abzustatten.
Während die pfeifende Menge daraufhin zum „Haus des Reichs“ abzog, zerstachen Adolfs Mitarbeiter Luftballons mit einem Taschenmesser und einer sagte: „Das ist doch alles heiße Luft.“ Die Demonstranten zogen indes weiter zum Arbeitsamt, wo sie nach ihrer Ausbildung nicht landen wollen. Angeführt wurde der Zug von einem Kremserwagen, von dem aus die Gewerkschafter mit Bonbon-Salven um die Gunst der Passanten warben. Auf Schildern im Protestzug war zu lesen: „Alle denken an sich – wir denken an uns“ und „Ausbildung verpflichtet“.
„Tatsächlich“, so Jürgen Humer von der ÖTV, „müssten die Krankenhäuser längst den Notstand ausrufen, wenn nicht die SchülerInnen den Betrieb aufrecht halten würden.“ Die Gewerkschaft fordert nun, alle im öffentlichen Dienst Ausgebildeten für mindestens ein Jahr weiterzubeschäftigen, damit sie Berufserfahrung sammeln können und ausreichenden Anspruch auf Arbeitslosengeld erwerben. Im letzten Jahr war für einen Teil der Absolventen eine halbjährige Weiterbeschäftigung erreicht worden.
Die ÖTV bestreikte gestern zahlreiche weitere Institutionen und Betriebe in Bremen: Der Zugang zur Bildungsbehörde wurde gestern am frühen Morgen von Streikposten versperrt. Neben dem Bauamt Bremen-Nord ruhte die Arbeit auch im Eigenbetrieb Bremen-Kommunaktionstechnik für drei Stunden, so dass behördeninterne Telefongespräche nicht möglich waren. Erstmals wurde auch der Eigenbetrieb Werkstatt Bremen für fünf Stunden bestreikt. „Besonders erfreut“ war man bei der ÖTV über die gute Beteiligung auch in den privatisierten Ex-Staatsbetrieben: Die Müllabfuhr ließ am Morgen Einiges liegen, und bei „Informations- und Datentechnik“ arbeiteten nur die Angestellten des privaten Partners debis.
Auch die GEW hatte zum Streik aufgerufen: An der Allgemeinen Berufsschule fielen zwei Stunden ganz aus, in der Schule am Leibnizplatz wurde die letzten beiden Stunden nur von verbeamteten Pädagogen unterrichtet.
Insgesamt beteiligten sich mehr als 2.000 Beschäftigte. Heute soll die Arbeit bei Stadtgrün und den Ämtern für Straßen und Verkehr sowie soziale Dienste niedergelegt werden. not
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