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Lila Lili

In Frankreich versuchen junge Regisseure wieder mehr Geschichten zu finden, statt sie zu erfinden

„Lila Lili“ gehört zu jenen Filmen, die den Sinn ihres Titels erst zum Schluss preisgeben: Um die Schmerzen der Wehen zu übertönen, die sie mitten auf der Straße überfallen haben, schreit die jugendliche Micheline Namensvorschläge hinaus in die Welt. Besser spät als nie, denkt sich der Zuschauer, während die Kamera weiterschwenkt über das Stadtrandgebiet und die nahe Autobahn. Eine Bewegung vom Besonderen zum Allgemeinen, vom Individuellen zum Gesellschaftlichen?

Seit je wird das Kino von einer Glaubensspaltung beherrscht: Die Propheten der Illusion stehen unversöhnt den Predigern des Realismus gegenüber. Nach zeitweisem Niedergang bekam in den letzten Jahren die Seite des Realismus unerwartet innovative Unterstützung aus Frankreich. Junge und nicht mehr ganz so junge Regisseure versuchen wieder mehr, Geschichten zu finden statt sie zu erfinden. Es sind Filme, die sich in Stil und Erzählhaltung einen quasidokumentarischen Blick zu Eigen machen. Und doch ganz anders funktionieren als Dokumentarfilme.

Oft erkennt man erst auf den zweiten Blick, dass jenseits der betont rauen Oberfläche von wackelnder Handkamerabildern und Laiendarstellern ein ausgefeiltes Nachdenken über Erzählweisen steckt. „Wir wollten, dass der Film dem Leben ähnelt: eine Abfolge von Augenblicken in verschiedenen Kontexten“, sagt Regisseurin Marie Vermillard über ihren Film „Lila Lili“. Im Zentrum steht die schwangere Micheline, die in einer Art Frauenhaus untergekommen ist. Man erfährt sehr wenig über sie. Kein Wort über den Vater ihres Kindes, fast nichts über ihre Gefühle während der Schwangerschaft. Tatsächlich charakterisiert sie der Film über das Netz ihrer Beziehungen und ein paar alltägliche Verrichtungen. Das Geheimnis ihrer Figur wird gewahrt.

„Lila Lili“ ist ein Film, der ganz offensichtich den eingefahrenen Wegen ausweichen will. Denen der Psychologie genauso wie denen der Soziologie. Was bleibt, ist in den besten Momenten eine Poesie des Alltags, wie in den Szenen der Landpartie, wo die vielen disparaten Figuren zu einem pittoresken Gruppenbild zusammenkommen. Doch über die Länge des Films vermisst man manchmal die Zuspitzung. Teilweise wird das Mittel der Aussparung zum allzu durchsichtigen Verfahren, und es zeigt sich, dass es ziemlich schwer sein kann, den Zufall des Lebens in seiner Zusammenhangslosigkeit zu erfinden.

Trotzdem geht gerade von der Verschlossenheit der Hauptfigur ein spröder Charme aus, der das Interesse an ihr beständig wach hält, wobei der Betrachter nie wirklich involviert wird – eine flirrende Schwebe zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen, dem Privaten und Politischen. Eben ganz anders als bei einer Dokumentation, wo doch stets die Neugier am Gegenstand befriedigt werden soll: Auf jeden Fall hätte ein Dokumentarfilm wohl nie auf das pathetische Bild des Neugeborenen verzichtet.

BARBARA SCHWEIZERHOF

„Lila Lili“. Regie: Marie Vermillard, Frankreich 1999, täglich 20 Uhr und 22.30 Uhr im fsk am Oranienplatz, Kreuzberg

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