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Tycoonin mit Angst

Als Verlegerin der „Washington Post“ wurde Katharine Graham zur mächtigsten Frau der Vereinigten Staaten. Ihre Memoiren sind die Geschichte einer Emanzipation

von ANNETTE JANDER

Im Sommer 1963 verließ der Zeitungsverleger Phil Graham das gemeinsame Schlafzimmer und erschoss sich mit seinem Jagdgewehr. Seine Frau Katharine fand ihn tot im Badezimmer. Phil Graham war sieben Jahre manisch-depressiv gewesen und hatte während dieser ganzen Zeit den Konzern Washington Post Company geleitet, zu dem nicht nur die Washington Post, sondern auch andere Zeitungen, das Wochenmagazin Newsweek und mehrere Fernseh- und Radiostationen in den USA gehörten. Ein Medienimperium, das Graham auch dazu nutzte, politisch Einfluss auszuüben. Er war fester Bestandteil der Wahlkampagne John F. Kennedys, und es war Phil Graham, der JFK überredete, Lyndon B. Johnson zu seinem Vizepräsidenten zu machen. Am 22. November 1963 wurde dieser benachrichtigt: „Mr. President, the president is dead.“

Die Kennedyjahre waren die große Zeit der jungen Männer, in der man sich für Frauen mittleren Alters nicht interessierte. Phils Frau Katharine oder Kay war kaum mehr als eine Außenseiterin. Als sich ihr Mann erschoss, waren ihre zwei jüngsten Söhne noch Teenager, und „sie verloren beide Elternteile gleichzeitig“. Die 46-jährige Kay entschloss sich, die Leitung der Washington Post Company zu übernehmen, anstatt zu verkaufen, und schickte sich an, die einflussreichste Frau Amerikas zu werden. Ihre Erinnerungen wurden mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet, nicht zuletzt deshalb, weil sie schonungslos sich selbst gegenüber die Geschichte ihrer qualvollen Emanzipation erzählt.

Ihr Vater Eugene Meyer hatte 1933 die damals marode kleinere der beiden Tageszeitungen Washingtons gekauft, die Post. Meyer war ein aus Deutschland eingewandertes Finanzgenie, brachte es buchstäblich vom Tellerwäscher zum Millionär, schließlich zum ersten Präsidenten der Weltbank. Kays Mutter Agnes brachte fünf Kinder auf die Welt, kümmerte sich aber mehr um ihre intellektuellen Interessen. Sie war eine durchweg emanzipierte Frau, als Journalistin und Autorin tätig und voller Leidenschaft. Sie entwickelte eine peinliche Passion für den in die USA emigrierten Thomas Mann, den sie interviewte und danach so lange nervte, bis die Beziehung offiziell eine Freundschaft genannt wurde. Kay wuchs im Schatten dieser willensstarken Mutter auf, und während ihre Geschwister alle eine Karriere anstrebten, heiratete sie nach journalistischen Gehversuchen einen charismatischen und dominanten Mann.

Das Psychogramm dieser Ehe ist erschreckend. Obwohl Kay Graham aus dem Abstand der Jahrzehnte heraus ihrem Mann und seinen Problemen gerecht zu werden versucht, bleibt das Bild eines nervlich zerrütteten Alkoholikers, der zu bösen Szenen neigte und seine Frau demütigte. Kay Graham bereut, nicht erkannt zu haben, was in ihrer Ehe geschah. Sie beschreibt die Beziehung als die „zwischen einem Firmenchef mit Richtlinienkompetenz und einer Betriebsleiterin, die für die konkrete Umsetzung der Pläne zuständig ist“.

Als seine psychische Krankheit die letzten Jahre seines Lebens dominierte, kümmerte sie sich Tag und Nacht um ihn. Wenn sie sich in dieser Zeit nicht auch ihrer eigenen Stärken bewusst geworden wäre, hätte sie nicht nahtlos die Leitung des Medienkonzerns übernommen. Und dennoch zieht sich ein Wort durch ihr ganzes Leben: Angst. Kay Graham hatte Angst, die falschen Entscheidungen zu treffen, Angst, zu versagen, Angst, nicht ernst genommen zu werden. Es ist völlig undenkbar, dass ein Mann mit der Machtfülle eines Phil Graham derart offen über seine Probleme und Entscheidungsschwierigkeiten schreibt, wie es seine Witwe in ihrem jetzt auf Deutsch vorliegenden Buch tut.

Kay Graham hat nie wieder geheiratet. Alle ihre Energien setzte sie von 1963 an in die Erfolgsgeschichte ihres Lebens: die Washington Post. Die Mitarbeiter dieser seit 1974 berühmtesten Tageszeitung Amerikas haben viele Auszeichnungen gewonnen, darunter die beiden skandalträchtigsten Pulitzerpreise: 1974 vergeben an Carl Bernstein und Bob Woodward für die Aufdeckung des Watergateskandals und 1981 an Janet Cooke für ihre Reportagen über einen heroinsüchtigen Achtjährigen, die komplett erfunden waren. Beide Affären krempelten die Einstellung zur Presse völlig um. Der Druck, ähnlich Skandalöses wie die Post aufzudecken, nahm zu. Der Schritt zum Betrug war ein kurzer. Kay Grahams strikte Maxime während der monatelangen Aufdeckung von Watergate, dass jedes Detail von mindestens zwei unabhängigen Quellen vor der Veröffentlichung bestätigt werden musste, zählte ein paar Jahre später nicht mehr viel.

Kay Grahams Beschreibung der Watergatemonate fördern nichts Neues zutage. Ihr Verdienst ist die Beschreibung der Kleinarbeit und die Feststellung, dass es durchaus kein Zweimannteam war, das im Alleingang arbeitete, wie es der Film „Die Unbestechlichen“ mit Robert Redford und Dustin Hoffman darstellt. Sie selbst taucht als Figur im Film nicht auf, trotzdem ist ihr Name untrennbar mit Watergate verbunden, weil sie als Verlegerin nie dem politischen Druck, der auf sie ausgeübt wurde, ihre Leute zurückzupfeifen, nachgegeben hat. Watergate war auch nicht unbedingt der aufregendste Teil ihres Lebens. Die vielen anderen Stationen ihrer Autobiografie – vom Leben ihrer Eltern bis zur riskanten Entscheidung für die Veröffentlichung der „Pentagon Papers“ über die Verwicklung der USA in den Vietnamkonflikt – hat sie genauso intensiv erlebt wie Watergate.

Trotz oder vielleicht wegen ihrer Angst hat sich Kay Graham zur toughen Geschäftsfrau mit Prinzipien entwickelt. Anders als ihre männlichen Kollegen und im bewussten Gegensatz zu ihrem Mann beschloss sie, sich als Verlegerin politischem Druck zu widersetzten, gleich von welcher Seite er kam. Sie entschied sich auch dagegen, ihren eigenen Einfluss politisch zu nutzen.

1949 hatte Phil Graham eine potenzielle Titelgeschichte der Post über Rassenunruhen in Washington dazu verwertet, die politisch Verantwortlichen zu zwingen, Schwarze die Schwimmbäder benutzen zu lassen. Kay Graham war empört: „Dies war ein typisches Beispiel für die Art und Weise, wie Phil mit der Macht der Zeitung umging, um Gutes zu erreichen. Es funktionierte, aber zugleich wurde der Zeitung Schaden zugefügt. Eine Reportage zu unterdrücken, um einen bestimmten Zweck zu erreichen, und sei der noch so gut, ist weder angemessen, noch lässt sich eine solche Verhaltensweise mit der Definition meines Vater vereinbaren, worin die Pflichten einer Zeitung bestünden: ‚Versuche, die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit herauszufinden und sie zu sagen.‘ “

Aber diese Verpflichtung der Wahrheit gegenüber, an die sie unbedingt glaubte, bedeutete auch, Freunde wie den Präsidenten Lyndon B. Johnson zu verlieren, wenn ihre Zeitung sie angriff oder in Frage stellte. 1964, nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten, war LBJ über einen Artikel in der Post so wütend, dass er Kay Graham, die zum Abendessen im Weißen Haus war, in seinem Schlafzimmer zur Verantwortung zog: „Während er mich anschrie, begann er sich zu entkleiden, wobei er Jacke, Krawatte und Hemd auf einen Stuhl oder auf den Boden warf. Schließlich wollte er die Hose herunterlassen. Ich erinnere mich noch, wie ich dachte: Das kann doch wohl nicht wahr sein, dass ich hier stehe und mich vom Präsidenten der Vereinigten Staaten anbrüllen lasse, während er sich auszieht. Plötzlich bellte er mich an: ‚Dreh dich um!‘ Gehorsam und dankbar tat ich, wie mir befohlen, und er setzte seine wütende Suada fort, bis ich mich auf sein Geheiß wieder umdrehte und er im Schlafanzug vor mir stand.“ Mehr ist dann nicht passiert.

Im Druckerstreik von 1975/76 focht die Post eine der heftigsten Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften aus. Wenn es um ihre geliebte Zeitung ging, vergaß Kay Graham alle Selbstzweifel und blieb hart. Von Seiten der Druckergewerkschaft wurde mit harten Bandagen gekämpft. Druckmaschinen wurden in Brand gesetzt, Streikbrecher verprügelt und unter massiven Druck gesetzt. Kay Graham entschied sich für den Widerstand gegen den Arbeitskampf nach Ablehnung eines großzügigen Angebots, das die Drucker der Washington Post zu den „höchstbezahlten im Land“ gemacht hätte. Das bedeutete, dass mehrere Monate lang Reporter und andere Angestellte die Zeitung nicht nur schrieben, sondern auch setzten und auslieferten. Das schloss auch Kay Graham selbst ein, die sich hier noch einmal emanzipierte: als Verlegerin von ihren Arbeitern.

Da die Druckmaschinen der Post unbrauchbar gemacht worden waren und man weder ins Gebäude rein- noch rauskam, wurden die Filme mit dem Satz per Hubschrauber vom Dach ausgeflogen und außerhalb gedruckt. Nur eine weitere der vielen Legenden um die Post. Die Gerichte übrigens gaben Graham schließlich Recht, die später zur „Eisernen Lady“ Amerikas erklärt wurde. Mit Margaret Thatcher aber hatte sie nur eines gemeinsam: die Betonfrisur.

Im Boom der Achtzigerjahre expandierte die Washington Post Company unaufhörlich. Kay Graham wurde ihre Selbstzweifel nie los, war aber klug genug, sich mit Fachleuten zu umgeben, denen sie vertraute, und diese auch zu feuern, wenn es nicht klappte. Sie ist immer eine Liberale geblieben, fühlte sich von der Frauenbewegung gestärkt und ließ sich weder von Sexismus noch von Antisemitismus je ernsthaft ins Bockshorn jagen. Ihre Offenheit gegenüber all diesen Fragen, aber auch ihre Zurückhaltung in puncto Rassenfrage und Vietnam lassen diese Frau widersprüchlich genug erscheinen. Eine Ursache für die Depressionen ihres Mannes war offensichtlich, dass er sich nie sicher war, ob er ohne das Vermögen seiner Frau je so viel Einfluss gehabt hätte. Aber auch Kay Graham musste sich diesen Einfluss mühsam erarbeiten und ihn verteidigen. Geld allein hätte es nicht getan.

ANNETTE JANDER lebt als freie Journalistin und Autorin in Berlin.

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