alarm im internet
: LIEBESGRÜSSE VON BILL GATES

Gerade hatten wir uns eingerichtet im neuen Zeitalter der Information. Aber so richtig freuen dürfen wir uns offenbar nicht an der Zukunft. Die Internetaktien beginnen zu welken; die Kritiker des digitalen Globalkapitalismus erleben eine neue Konjunktur. Und außerdem kracht das technische Zauberwerk zusammen, von dem wir uns angewöhnt hatten, alle Wunder dieser Welt zu erwarten.

Ein simples Virenprogramm soll schuld sein – wahrscheinlich geschrieben von einem dieser Computerkids, die nun auch bei uns heranwachsen, nicht nur in Indien oder Aserbeidschan. Der weltweite Schaden geht angeblich in die Milliarden; ganze Firmennetzwerke mussten stillgelegt werden; sogar im Pentagon soll der Virus sich ausgebreitet haben.

Schadenfreude ist die beste Freude. „I LOVE YOU“ hat der Autor sein Progrämmchen ausdrücklich genannt, damit wir gewarnt sind. Wer bei einem solchen Geständnis eines wildfremden Menschen nach der Maus greift und draufklickt, der ist selbst schuld an dem Flurschaden, der daraus erwächst. Denn auch in der neuen, globalisierten Zeit sollten wir mit Liebesgrüßen etwas vorsichtiger umgehen. Die Liebe immerhin ist kein Computerspiel, auch wenn sie im Frühling gelegentlich Spaß macht.

Der Virus selbst ist erst recht kein Scherz. Seine Wirkungen sind einigermaßen verheerend, wenn vielleicht auch nicht ganz so schlimm, wie das die betroffenen Firmen mit Blick auf ihre Versicherungspolicen heute lauthals verkünden. Auf keinen Fall jedoch ist es das Internet, das an dem Virus und den durchaus erwartbaren Nachkommen der vergifteten Mailgrüße zerbrechen wird.

„I LOVE YOU“ kann nur Schaden anrichten, wenn ihm Bill Gates und sein Windows-System dabei helfen. Beide sind systemfremde Relikte des letzten Jahrhunderts. Abstruse technische Notlösungen waren nötig, um den Windows-PC an die weit elegantere, einfachere und damit auch sicherere Technik des Internets anzupassen. Die Zeit des Windows-PC geht mit der nächsten Gerätegeneration zu Ende und damit auch das Geschäftsmodell von Bill Gates. Die Computerprogramme, die wir für die gegenwärtige Informationsgesellschaft brauchen, sind keine lebensgefährlichen Monster mehr, deren einziger Endzweck es ist, den Monopolprofit eines einzigen Mannes zu sichern. „I LOVE YOU“ demonstriert nur, wie dringend der Wechsel ist. NIKLAUS HABLÜTZEL

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