piwik no script img

Wir wissen nichts und hören wenig

Die evangelische Kirche versucht, mit einem Pop-Oratorium neues Publikum anzusprechen. Profi-Sänger reisen von Kirche zu Kirche, begleitet werden sie vom örtlichen Chor. Doch das Werk besticht durch seichte Musik und schlichte Texte

von ANNETTE ROLLMANN

Die evangelische Kirche versucht, modern zu sein. Oft ist sie damit aber altbacken. Mit ihrer als Pop-Oratorium angekündigten Veranstaltungsreihe „Unterwegs. Haltestelle Gegenwart“, das von verschiedenen Kirchen in Berlin und Brandenburg aufgeführt wird, erreicht sie bestimmt nicht die Gegenwart. Erreichen wird sie mit ihrem Anbiederungsversuch allenfalls ein rares Publikum, dass sich noch unterhalb des Seichtheitsniveaus Howard Carpendales angesprochen fühlt. Jugendliche, junge Erwachsene oder auch ein Publikum, das an Blues oder Gospel interessiert ist, werden nach dem ersten Anklingen dieser Popularmusik die heiligen evangelischen Hallen wieder verlassen.

Schade. Denn eigentlich ist die Idee gut. Es wurde ein Komponist (Helmut Hoeft), ein Texter (Wolfgang Fietkau) beauftragt, ein Oratorium zu schreiben. Professionelle Musiker (Sarah Kaiser, Cornelius Beck und die Frieder Jost Band) bereisen – von der Premiere am 12. Mai in der St.-Gotthard-Kiche in Brandenburg angefangen – bis September elf ausgewählte Kirchen in Berlin, Potsdam und im Brandenburger Land. Der jeweilige örtliche Chor der elf Kirchen begleitet die Sänger. Ein Projekt also, bei dem sinnvoll professionelle mit örtlichen Strukturen verbunden werden. Eine überzeugende Idee, um Menschen wieder an die Kirche zubinden, die ihr eigentlich schon den Rücken zugewandt haben.

Doch ist der Anspruch an Qualität und Geschmack, den die evangelische Kirche mit ihrem Beauftragten für Popularmusik, Rolf Tischer, hier vorzeigt, nicht mal vergleichbar mit der „Hitparade“ im Zweiten Deutschen Fernsehen. In seeliger Biederkeit präsentierten sie gestern das Oratorium der Presse und waren die einzigen, die bei CD-Klangproben freudig mit dem Fuß zum Takt wackelten. Voran die Schöpfer des Werks selbst, wie der 65-jährige Texter Fietkau, der mit seiner Textbotschaft „dem Menschen einen roten Faden in seinem Leben geben will“. Fietkau, der auch Leiter des evangelischen Verlages Wichern ist, sagte zu seiner Mission: „Es wird dem Menschen durch meine Liedtexte gesagt, dass du dich entscheiden musst. Aber es wird ihm nicht gesagt, wie.“ Rausgekommen sind dann so sprachlich „dichte“ Liedzeilen wie: „Wir wissen von nichts und hören zu wenig, wir kommen zu früh und kommen zu spät, wir kommen als Knecht und kommen als König.“ Der Beauftragte für Popularmusik, Rolf Tischer, kommentierte das Niveau der Texte mit den Worten: „Die stellen hohe Ansprüche an das Publikum und regen die Fantasie an.“

Der 43-jährige Komponist Helmut Hoeft, ein studierter Kirchenmusiker, der auf seichten Rock von PUR steht, erklärte die Rhythmen seiner Songs so: „Wir wollen niemanden verschrecken. In den Siebzigerjahren sind die Rockbands in den Kirchen aufgetreten, und das fanden viele Kirchenmitglieder nicht gut.“ Damals hatte die evangelische Kirche offenbar noch Mut und Lust auf „Gegenwart“. Bei „Unterwegs“ ist ihr irgendwie jeder Bezug dahin abhanden gekommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen