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Horst auf die Vogelweide

Horst Hrubesch beerbt als Bundestrainer und Hütchenwart Uli Stielike, der sich freiwillig hat gehen lassen. Krisenverschärfung scheint durch das Duo Rubeck/Hribbesch ausgeschlossen

von BERND MÜLLENDER

Als sein Vorgänger abging, war dies Aufmachermeldung der „Tagesschau“: „Meine Damen und Herren, Berti Vogts ist zurückgetreten.“ Als gestern die Demission von Uli Stielike (45) als Bundestrainer folgte, verschliefen die Agenturen die Meldung viele Stunden.

Uli who? Klar, Stielike. Der Mann aus dem zweiten Glied, der Harry des DFB im Ribbeckschatten. Zwar „Bundestrainer“ geheißen (und am Anfang sogar lange 24 Stunden allein amtierend), aber dann immer Assistent geblieben. Ein Tag nach der Inthronisierung des Mannheimers im September 1998 wurde die Position des Teamchefs erfunden: Ribbeck kam, als „Sir Erich“ zuständig für das Verkaufen des Produkts Nationalelf in der Medienwelt. Stielike war nur in Fragen der Trainingsfron erste Wahl, ein Mann, dem viele, Ribbeck vor Augen, reflexartig Fußballsachverstand zuschreiben und der „mit Leidenschaft und Sorgfalt farbige Hütchen arrangiert“ (SZ).

Uli Stielike ist nicht gefeuert worden, er hat sich freiwillig gehen lassen. Er fühle sich „sogar etwas befreit“, die Nebenverantwortung abzugeben, zu oft habe er „zwischen den Stühlen gesessen“. Stielike hat zuletzt einige Male eine eigene Meinung öffentlich geäußert. Das gilt als Loyalitätssünde. Stielike wird bei der EM Spielebeobachter. Damit ist er möglichst weit weg.

Der Spitzname des 42-fachen Nationalspielers war bei Real Madrid „El Pulmón“, die Lunge. Was sich auf die laufintensive Spielweise des „Stalin des Strafraums“ (taz) bezog. Die zweite Bedeutung hob einmal Paul Breitner hervor: „Wenn’s bei uns um Stimmung, Schunkeln und Singen geht – da haben wir einen Spezialisten: Uli Stielike. Der kennt jedes Fußballer- und Volkslied. Ein Uli von der Vogelweide, sozusagen. Wenn er loslegt, bleibt keine Kehle still.“ Anlässe zu fröhlichen Gesängen gab es zuletzt kaum, insofern eine verzichtbare Eigenschaft.

Jetzt kommt nicht Lothar Matthäus, wie Fatalisten erst spekulierten, sondern Horst Hrubesch, das ehemalige Kopfballungeheuer (siehe Portrait S. 11). Er wird nicht mehr Bundestrainer genannt, sondern Assistenztrainer. Hrubesch hat zwei weitere unschätzbare Vorteile: Er ist bedingungslos loyal und hat, soweit bislang bekannt, kein eigenes Konzept. Das ergänzt sich mit Erich Ribbeck ideal zur Doppelnull-Lösung. Anders als der stets grimmig wirkende und knorrige Stielike: Der sollte anfangs und wollte später immer noch mitreden, Taktiken bestimmen, bei der Aufstellung mitreden. Sich sogar mit Ribbeck über strategische Finessen streiten. Was mit Ribbeck nicht funktionieren konnte, per definitionem.

Horst Hrubesch gehört schon lange zum Trainerstab des DFB, als Coach der Dauer-Loser-Truppe A2 und als Spielerbeobachter. Da empfahl er im Herbst seinem Herrn Ribbeck den Wolfsburger Zoltan Sebescen, vergaß allerdings seine Position zu übermitteln. Und so gurkte der arme Mann in Amsterdam in der Defensive, wo er im Verein doch offensiv spielt.

Lange hatte Hrubesch Sebescen auf dem Kieker, dachte aber, er sei Ungar. Jetzt, wo Stielike den Laufpass bekam, kann der sich beobachtend intensiver auch um Kandidaten-Pässe kümmern. Ein weites Arbeitsfeld: Ein Spieler von Alemannia Aachen bekam neulich eine DFB-Einladung zum Sichtungslehrgang. Diesmal umgekehrtes Pech: Der Mann ist Belgier. Aber vielleicht hat der Name Bernd Rauw den DFB-Sichtern zu eindeutig nach deutschem Bundespräsidenten geklungen.

Kann, wer Pässe nicht lesen kann, die richtigen Leute Pässe schlagen lassen? Ob sich durch den Aufgabentausch „die Krise der Nationalmannschaft dramatisch verschärft“ (dpa), erscheint ausgeschlossen. Wie wohin noch weiter verschärfen? Die EM beginnt in 32 Tagen; sie kann für Rubeck und Hribbesch schon in 42 Tagen zu Ende sein. Egal, wie gut Horst von der Vogelweide singt.

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