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„Keine neuen Reaktorkonzepte“

Lothar Hahn, alternativer Wissenschaftler, über seine Arbeit als Vorsitzender der Reaktorkommission der Bundesregierung

InterviewKLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

taz: Ein Jahr schon leiten Sie die Reaktorsicherheitskommission (RSK). Und kein Mensch hat davon etwas bemerkt.

Lothar Hahn: Richtig ist, dass die Musik in der Atompolitik zur Zeit anderswo spielt: bei den Ausstiegsverhandlungen respektive den Konsensgesprächen zwischen der Bundesregierung und den Kraftwerksbetreibern. Wir dagegen sind ein rein technisches Gremium.

Bundesumweltminister Jürgen Trittin stellte Lothar Hahn vom Öko-Institut an die Spitze der RSK. Erwartet er von Ihnen die Durchsetzung seiner Ausstiegspolitik?

Die Fronten in der RSK sind nicht so hart, wie man als Außenstehender vielleicht glauben könnte. Natürlich gerieren sich die beiden Vertreter der Atomindustrie auch in der RSK als Befürworter der Atomenergienutzung. Und natürlich wissen alle, dass die Diplomphysiker Hahn und Donderer und der Diplomingenieur Sailer passionierte Atomkraftgegner sind.

Also eine 3:2-Mehrheit für den Ausstieg. Und die anderen?

Als Vorsitzender der RSK versuche ich darauf hin zu arbeiten, dass dieses Schubladendenken in diesem Beratungsgremium keine Rolle spielt; und auch nicht in den Ausschüssen. Die Fachkompetenz der einzelnen Mitglieder soll den Ausschlag geben. Es ist doch schon ein gewaltiger Fortschritt, dass kritische Wissenschaftler in diesen wichtigen Gremien – wie etwa auch in der Strahlenschutzkommission – sitzen oder ihnen sogar vorstehen. Dass unsere Argumente Hand und Fuß haben, wurde in den Gremien inzwischen von allen konstatiert – und auch anerkannt. Heute wird in der RSK offen diskutiert; früher dagegen vom – konservativen – Vorsitzenden mit harter Hand regiert. Bis jetzt haben wir die gemeinsam erarbeiteten Vorlagen für das Bundesministerium für Umwelt (BMU) immer im Konsens verabschiedet. Das zeigt doch: es funktioniert – mit uns.

Schöner diskutieren also. Auch neue Themen? Ausstiegsvarianten vielleicht?

Die Themen gibt das BMU vor. Oder es werden aktuell große Störfälle erörtert, wie etwa der schwere Atomunfall in Japan. Generell werden alle wichtigen Vorkommnisse in deutschen AKW und Atomanlagen in der RSK besprochen und danach Handlungsempfehlungen für das BMU erarbeitet. Zuletzt ging es um das Schraubenmuttern-Problem im AKW Krümel. Die Sicherheitskultur in den AKW und die Sicherheitsforschung sind Dauerthemen in der RSK. Doch gerade das, was seit meiner Ernennung zum Vorsitzenden der RSK und der Berufung auch der anderen kritischen Wissenschaftler nicht mehr auf den Tagesordnungen steht, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass sich der politische Wind in diesem Land gedreht hat: Konzepte für neue Reaktoren werden in der RSK nicht mehr diskutiert; auch nicht spekulative Neubauprojekte auf europäischer Ebene. Damit ist es aus und vorbei. Das wissen inzwischen auch die Vertreter der Anlagenbetreiber. Ausstiegsvarianten werden in der RSK allerdings auch nicht besprochen. Wir sind, wie gesagt, ein technisches Gremium. Mit dem Abriss der ersten AKW in Deutschland werden wir uns aber ganz bestimmt beschäftigen. Eine gewaltige Aufgabe; gewaltiger vielleicht, als es der Bau der AKW einmal war.

Was sagt der Chef der RSK zur aktuellen Debatte um den möglichen Export der nie in Betrieb gegangenen Assemblierungsanlage für Mischoxyd-Brennelemente (MOX) aus Uran und Plutonium der Firma Siemens – von Hanau nach Russland? Siemens drängt auf eine Entscheidung der Bundesregierung. Immerhin soll dort mit dieser Anlage nach dem neuesten Stand der Technik Waffenplutonium „vernichtet“ werden.

Das ist eine ganz schwierige Geschichte. Und wir werden daraus nicht unbefleckt hervorgehen. Die Russen wollen ihr Waffenplutonium „friedlich“ nutzen: in MOX-Brennelementen zur „Befeuerung“ ihrer AKW, die sich alle in einem bedenklichen Zustand befinden. Einer Verglasung – wobei diese Technik auch noch nicht ausgereift ist – mit anschließender Endlagerung werden die Russen nie zustimmen. Eine delikate Angelegenheit mit starker politischer Komponente. Stellen wir die nagelneue MOX-Anlage nicht zur Verfügung, werden wir als „Abrüstungsgegner“ gescholten werden. Bauen wir die Anlage in Russland auf, verlängern wir bei den vorhandenen Massen von Waffenplutonium den Betrieb der AKW dort ins Unendliche. Wir werden darüber reden müssen; nicht nur in der RSK. Ich will mich im Vorfeld dieser Debatte aber nicht festlegen lassen.

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