: Geburtstagsfest in Trauerlaune
Wer ist schuld an Rowohlts Niedergang? Missmanagement, Ex-Verlagschef Michael Naumann und die Krise der deutschen Verlage
aus Berlin DIRK KNIPPHALS
Es hat schon glücklichere Geburtstage gegeben. Trotzdem feiert der Rowohlt Verlag heute das fünfzigjährige Bestehen seiner Taschenbuchreihe rororo. In Berlin wird es eine Lesung mit dem amerikanischen Starautor Paul Auster und einen Festakt geben, und das ist der Bedeutung dieses Datums unbedingt angemessen. Denn dass Rowohlt der erste deutsche Taschenbuchverlag war, das ist doch was, das strahlt doch aus in die ganze deutsche Kulturlandschaft – eigentlich! Allein: Es steht in Frage, ob wirklich alle Gäste reinen Herzens mitfeiern werden.
Krisen gehören zwar schon seit den Zeiten des legendären Verlagsgründers Ernst Rowohlt zur Tradition des Hauses; aber nun übertreibt man es etwas mit der Traditionspflege. Der Verlag ist ins Gerede gekommen. Und kommt nicht mehr heraus: Erst wird bekannt, dass der Holtzbrinck-Konzern, dem Rowohlt gehört, den Verlag enger an die Kandarre nehmen will. Dem Programmleiter Nikolaus Hansen wird mit Peter Wilfert ein zweiter Mann zur Seite gestellt. Dann kursieren glaubwürdige Berichte, in denen von zehn Millionen Mark Verlust bei hundert Millionen Mark Umsatz die Rede ist. Es kündigen sich die Wirtschaftsprüfer von McKinsey im Stammsitz in Reinbek bei Hamburg an. Der Chefpressesprecher begeht Selbstmord. Und bei Rowohlt Berlin verliert man mal eben fast die komplette Mannschaft.
„Du glaubst es nicht!“ Mit diesen vier Worten begrüßen Rowohlt-Mitarbeiter mittlerweile, wie man hört, ehemalige Kollegen am Telefon. Sie haben viel zu erzählen. An kurzfristigen Fehlern und langfristigen Versäumnissen ist einiges zusammengekommen. Darüber hinaus hat Rowohlt schon immer emotionalere Reaktionen hervorgerufen hat als andere Verlage. „Alle liebten das Haus.“ So eine sentimentale Aussage eines Ex-Mitarbeiters steht nicht allein. Man beachte die Vergangenheitsform! In der Gegenwart ist die Stimmung im Keller.
Wer nach den Gründen der Krise fragt, wird vor allem auf drei Punkte verwiesen. Zum ersten geht es der deutschen Verlagslandschaft insgesamt nicht gut. Da es kein Wachstum in der Branche gibt, findet ein Verdrängungswettbewerb statt. So sind für alle Verlage die Rahmenbedingungen schwerer geworden, und bei Rowohlt zeigen sich die allgemeinen Probleme der Branche nur besonders heftig.
Die hinzu kommenden Führungsprobleme allerdings sind hausgemacht. Man muss schon lange herumtelefonieren, bis man jemanden erwischt, der glaubwürdig die Ansicht vertritt, hinter dem gegenwärtigen Krisenmanagement stehe ein durchdachtes Konzept. Nikolaus Hansen und Peter Wilfert gelten nicht unbedingt als ein harmonierendes Führungsgespann und, was die Mitarbeiterführung betrifft, scheinen sie zusammen mit dem Geschäftsführer Helmuth Dähne Defizite zu haben. So musste etwa Siv Bublitz, die neue Leiterin von Rowohlt Berlin, das Medienunwetter um diese Verlagsabteilung allein durchstehen. Das gesamte Rowohlt-Führungstrio befand sich im Urlaub. Nikolaus Hansen scheint geradezu Perfektion darin entwickelt zu haben, nicht da zu sein, wenn es drauf ankommt.
Aber es fällt häufig noch ein weiterer Name, wenn es um die Probleme Rowohlts geht: der von Michael Naumann. Der jetzige Staatsminister für Kultur war der Vorgänger Nikolaus Hansens als Rowohlt-Chef und hat sich in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre unbestritten Verdienste um das literarische Renommee des Hauses erworben. Große Autoren wie Harold Brodkey und Langzeitprojekte wie die Nabokov-Gesamtausgabe sind mit seiner Ägide verbunden. Nur hat Naumann alles auf die Karten des hohen Anspruchs gesetzt und das Taschenbuch vernachlässigt, den wirtschaftlich für alle Verlage mehr und mehr zentralen Bereich.
Es gab zu Naumanns Zeit einen regelrechten Eisernen Vorhang zwischen dem anspruchsvollen Hardcover- und dem Taschenbuchprogramm. Gehobene Unterhaltungsautoren, die für den Taschenbuchumsatz wichtig gewesen wären, konnten nicht im Hardcover aufgebaut werden. Und die Versuche von Naumanns Nachfolger, dieses Versäumnis inzwischen zu korrigieren, fielen ungeschickt aus: Es hat wohl kaum fatalere Experimente in Sachen Bestseller gegeben, als Nikolaus Hansen sie mit den Büchern von Harald Juhnke und Hellmuth Karasek unternahm.
„Wenn ich in zwei, drei Jahren keine schwarzen Zahlen schreibe, kündige ich von selbst“, hat sein Kollege Peter Wilfert inzwischen gesagt. Bis dahin wird ihm und seinen Verlagskollegen das Feiern wohl nicht allzu leicht fallen.
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