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Mächtig stolz und ziemlich ratlos

In Indien und Pakistan wissen die Regierungen zwei Jahre nach ihren Atomtests nicht, was sie eigentlich mit ihren nuklearen Trumpfkarten anfangen sollen. Relevante öffentliche Debatten über die Atomwaffenpolitik gibt es nicht

aus DelhiBERNARD IMHASLY

Am 28. April hat ein Feuer im zweitgrößten Munitionslager Indiens bei Bharatpur in Rajasthan mindestens 12.000 Tonnen Munition zerstört, darunter Boden-Luft- und Anti-Tank-Raketen. Tausende von Granaten regneten über zwanzig angrenzende Dörfer herunter. Zwei Menschen starben, zahlreiche wurden verletzt. Das Feuer war bei großer Sommerhitze ausgebrochen, weil das Elefantengras um die offen gelagerte Munition entgegen der Vorschrift seit zwei Jahren nicht mehr gemäht worden war. Die Frage, die sich danach aufdrängte, sprach der Abgeordnete Eduardo Faleiro aus: Was würde in einem ähnlichen Fall bei einem Atomwaffenlager geschehen?

Indiens Atomversuche vom 11. und 13. Mai 1998, gefolgt von denen Pakistans am 28. Mai, lösten in beiden Ländern euphorische Reaktionen aus. Mit der Verhängung von Sanktionen folgte Ernüchterung. Pakistans Staatsfinanzen drohten zusammenzubrechen, Indien dagegen konnte den Boykott wegstecken.

Die Sanktionen stärkten den nationalen Beifall für die Tests, der auch die wenigen Atomgegner übertönte. Als diese mit einem Marsch vom Testgelände in Rajasthan zu Buddhas Wirkungsstätte in Bihar protestierten, waren Teilnahme und Medienecho gering. Eine nationale Debatte über die Atomwaffen blieb aus. Über die hohen Kosten für ein Kontrollsystem gab es kaum Diskussionen, auf Fragen nach fehlendem Zivil- und Strahlenschutz nur Achselzucken.

Jahrzehntelang hatte sich das offizielle Indien für eine Politik ohne Atomwaffen stark gemacht und dies durch den Beschluss zu erhärten versucht, dass die 1974 demonstrierte technische Kompetenz nicht in atomare Bewaffnung umgesetzt wurde. Doch Indiens Testserie 1998 und der Beschluss für nukleare Abschreckung waren das „Ende der Imagination“, wie es die Schriftstellerin Arundhati Roy nannte: Auch Indien akzeptierte die Bombe als endgültige Machtwährung. Dazu kam das Ende der Illusion. Studien wie die des US-Politologen George Perkovich („India's Nuclear Bomb“) zeigten, dass Delhis langjähriges Ringen zwischen idealistischer Ablehnung und realpolitischer Akzeptanz der Bombe nur Schau war. Indiens Atombewaffnung war jahrzehntlang vorbereitet und von allen Regierungen abgesegnet worden.

Das Schweigen der Atomgegner drückt auch die Betroffenheit über den vermeintlich demokratischen Staat aus, in dem wenige Eingeweihte die Öffentlichkeit jahrelang hintergehen konnten. Kritik ertönte nicht einmal, als die Regierung im letzten August einen aggressiven Entwurf einer Nukleardoktrin veröffentlichte. Diese versichert der Welt zwar den Verzicht auf einen atomaren Erstschlag und der selbst gewählten Begrenzung einer „minimalen Abschreckung“. Aber die Formulierung der Zweitschlagkapazität lässt offen, ob diese schon bei der Drohung eines feindlichen Erstschlags gilt, wie vor allem im Ausland kritisiert wurde. Das jahrzehntelange Versteckspiel eines winzigen nuklearen Establishments, so der Politologe Amitabh Mattoo, verhinderte im Namen der nationalen Sicherheit eine breite Meinungsbildung.

Das Fehlen einer vielstimmigen nuklearpolitischen Öffentlichkeit zeigt sich besonders in der Schwäche der laufenden Debatte über Indiens Verhältnis zum Atomtestverbot (CTBT). Die Regierung gefällt sich in verstärkter Machtprojektion, scheint aber ratlos, was sie mit ihrer nuklearen Trumpfkarte anfangen soll. Sie hat nicht versucht, bei der Konferenz zur Überprüfung des Nichtverbreitungspakts in New York als Beobachter zugelassen zu werden. In ihrem Drang, als Nuklearmacht anerkannt zu werden – mit einem Sitz im UN-Sicherheitsrat –, vermeidet Indiens Regierung jede Kritik an Washingtons Plänen für einen nuklearen Raketenschild. Sie kann sich auch nicht entscheiden, ob der CTBT Delhi nun die Hände bindet und anderen Atomwaffenstaaten per Testsimulation den Ausbau erlaubt oder ob der CTBT ein echtes Abrüstungsinstrument ist.

Auch das in seiner Nuklearpolitik auf Indien fixierte Pakistan bleibt unentschieden, ob es den CTBT unterzeichnen soll. Es könnte damit im Westen Punkte machen, wird aber die Angst nicht los, dass ein nicht unterzeichnendes Indien Vorteile erringen könnte. Islamabad nimmt die Last der Atomrüstung hin, weil es überzeugt ist, in der nuklearen Parität mit Indien dessen Übergewicht bei konventionellen Waffen neutralisiert zu haben.

„Erst wenn eine Atmosphäre von Vertrauen geschaffen ist, wird Südasien fähig sein, seine Atomwaffen aufzugeben“, meint der pakistanische Abrüstungsexperte Shahbaz. Eine solche Atmosphäre ist nicht in Sicht.

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