: Sind Ökosünden sittenwidrig?
Wer gegen Umweltgesetze verstößt, produziert billiger. Der Bundesgerichtshof klärt nun, ob Konkurrenzunternehmen dies künftig verhindern können: Gilt das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb in solchen Fällen?
aus Karlsruhe CHRISTIAN RATH
Dürfen Wirtschaftsunternehmen bald die Umweltverstöße ihrer Konkurrenten verhindern? Diese Frage diskutierte gestern der Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Eine Entscheidung soll heute bekannt gegeben werden. In einem Grundsatzverfahren ist zu klären, ob Wettbewerbsrecht zum Zuge kommen kann, wenn milde Behörden beide Augen zudrücken und Umweltverschmutzern damit Marktvorteile verschaffen.
Konkret geht es um den Fall eines Spanplattenherstellers aus Nordrhein-Westfalen. Schon seit Jahren produziert die Firma Hornitex aus Horn-Bad Meinberg ihren Prozessdampf in einer Feuerungsanlage, die die Grenzwerte für Kohlenmonoxid und Stickstoffoxid um bis zu 100 Prozent überschreitet. Und ebenso lang versuchen die Behörden, diese Verstöße abzustellen – aber ohne Erfolg. So ordnete das Mindener Umweltamt 1990 eine 15 Millionen Mark teure Umstellung von Holz- auf Gasfeuerung an, doch Hornitex blieb untätig. Daraufhin wurde 1996 ein Bußgeld in Höhe von happigen 17 Millionen Mark verhängt und die weitere Holzbefeuerung untersagt.
Doch nun schaltete Hornitext die Düsseldorfer Landesregierung ein. Angeblich seien 1.700 Arbeitsplätze in Gefahr. Auf einer Krisensitzung im Wirtschaftsministerium wurde sofort ein Abkommen ausgehandelt, in dem sich die Behörden verpflichteten, das Bußgeldverfahren und die Umrüstungsverpflichtung nicht weiter zu verfolgen, wenn Hornitex im Gegenzug endlich die lange geplante völlig neue Heizzentrale baue. Immerhin soll die 110 Millionen Mark teure Anlage im März nächsten Jahres tatsächlich in Betrieb genommen werden. Bis dahin drücken die Behörden allerdings weiter beide Augen zu. Denn dass die Firma nicht in der Lage ist, die Abluftgrenzwerte „kontinuierlich einzuhalten“, bestreitet niemand.
So weit ein typischer Fall, wie er nicht nur in Nordrhein-Westfalen regelmäßig vorkommt. Doch Landesregierung und Hornitex hatten die Rechnung ohne die Fritz-Eggers-Werke im benachbarten Sauerland gemacht, die ebenfalls Spanplatten herstellen und sich schon seit Jahren über die „Dumpingpreise“ von Hornitex ärgern. „Wir haben 1994 rund 70 Millionen Mark in den Umweltschutz investiert, während Hornitex mit Billigung der Behörden noch jahrelang die Luft verschmutzen darf“, kritisierte ein Firmensprecher von Eggers.
Das Konkurrenzunternehmen zog auch gleich vor Gericht und löste damit einen bisher wohl noch nicht dagewesenen Rechtsstreit aus. Unter Berufung auf das „Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb“ wurde Hornitex verklagt. Ziel der Aktion: Der Konkurrent soll den Betrieb einstellen, solange er die Umweltgesetze nicht einhalten kann. Denn andernfalls verschaffe er sich einen „sittenwidrigen“ Vorteil.
In den ersten beiden Instanzen, beim Landgericht Detmold und am Oberlandesgericht (OLG) Hamm, scheiterten die Eggerswerke jedoch. „Nicht jeder Gesetzesverstoß zieht automatisch eine Wettbewerbswidrigkeit nach sich“, hieß es zur Begründung. Bei einer „umfassenden Wertung“ des Vorgangs sei vor allem das Verhalten der zuständigen Umweltbehörden zu berücksichtigen. Wenn diese ein „Stillhalteabkommen“ abschlössen, so das OLG Hamm, könne dieses nicht per Wettbewerbsrecht „unterlaufen“ werden.
Jetzt muss der Bundesgerichtshof, das höchste deutsche Zivilgericht, klären, ob sich Mitbewerber gegen solche „Deals“ vor den Zivilgerichten wehren können oder nicht. Bei der gestrigen Verhandlung in Karlsruhe erklärte Cornelie von Gierke, die Rechtsanwältin der Eggerswerke: „Umweltschutznormen, die sich speziell an Unternehmen richten, dienen immer auch dem Schutz der Mitbewerber.“
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