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Wie bekomme ich acht Prozent?

Ihre Partei will endlich mal wieder an die Macht? Das kriegen wir schon hin: Folgen Sie einfach dem Beispiel von Jürgen W. Möllemann

von PASCAL BEUCKER

1 Setzen Sie sich für die Wahl ein Ziel, das so unrealistisch klingt, dass jede Zeitung darüber berichtet. Sie sind bei der letzten Wahl aus dem Landtag geflogen, landesweit dümpelt ihre Partei in den Umfragen bei vier Prozent. Dass Sie gerne wieder in den Landtag zurückkehren wollen, versteht sich von selbst und wäre daher keine Schlagzeile wert. Also legen Sie die Latte höher. Verkünden Sie, Sie wollten acht Prozent und Sie wären sicher, das auch schaffen zu können. Das sorgt für ungläubiges Staunen – und beschert Ihnen eine ausführliche Berichterstattung.

2 Verbinden Sie Ihre Stärken mit den Schwächen Ihrer Partei. Seien Sie, wie Jürgen W. Möllemann, ein begnadeter Selbstdarsteller. Keinen PR-Gag ließ er aus, um sich in die Medien zu bugsieren. Seine Partei hingegen fehlt es in Nordrhein-Westfalen sowohl an einer ausreichenden personellen Basis in den Kommunen als auch an repräsentablen Köpfen auf Landesbene. Also ist der FDP-Wahlkampf vollständig auf ihren Spitzenkandidaten zugeschnitten.

3 Eröffnen Sie den Wahlkampf frühzeitig und mit einem gezielten Tabubruch. Wie Jürgen W. Möllemann: Der präsentierte Anfang Januar ein Plakat, das Guru Bhagwan, die Horrorfilm-Gestalt Freddy Krüger und Adolf Hitler zeigt und den Untertitel trägt: „Wenn wir nicht schnell für Lehrer sorgen, suchen sich unsere Kinder selber welche.“ Hitler auf einem Wahlplakat? Das hat schon lange keine Partei mehr gewagt. Wenn alle sich aufregen, lassen Sie den Hitler wieder verschwinden. Auch über die Änderung wird wieder in den Medien berichtet.

4 Geben Sie potenziellen Wählern das Gefühl, sie seien etwas Besonderes, wenn sie sich für Ihre Partei entscheiden. Vermitteln Sie ihnen, dass sie sich von der breiten Masse abheben: „Wenn Sie mehr leisten als andere, warum wählen Sie dann, was andere wählen?“

5 Schrecken Sie auch nicht vor einer guten Portion Sexismus zurück, wenn das Aufmerksamkeit verspricht. Kennen Sie den schon? „Sitzt eine nackte Blondine in einer gefüllten Badewanne mit einem Elektrofön in der Hand . . .“ Dazu die Texteinblendung am Ende: „Wir brauchen dringend mehr Geld für Bildung.“ Seit Anfang Mai zeigt die FDP diesen Wahlspot in allen großen Kinos Nordrhein-Westfalens. „Ein bisschen Provozieren“ gehöre zum Wahlkampf dazu, erklärte dazu ein FDP-Sprecher.

6 Denken Sie immer daran: Als kleine Partei müssen Sie nicht jedem gefallen. Die Mehrheit wählt Sie ohnehin nicht. Folgen Sie dem Rezept von Jürgen W. Möllemann. Der hat einmal seine Wahlkampfstrategie anhand eines einfachen Beispiels erklärt: Wenn er mit zehn Leuten in einer Kneipe am Tresen zusammenstünde und neun von denen seien gegen ihn, aber einen könnte er überzeugen, dann sei er schon zufrieden. Denn dann habe er zehn Prozent. Jetzt will er nur acht. Da braucht er den einen noch nicht einmal vollständig überzeugen.

7 Zeigen Sie sich modisch. Will ein Politiker dynamisch wirken, muss er zunächst an seinem Äußeren arbeiten. Schlips und Krawatte sind da out, Rollkragenpullover in. Das wirkt vielleicht nicht mehr so seriös, aber jünger und frischer. Aber Seriosität spielt sowieso keine Rolle. Also treten Sie überall nur noch im Rolli auf. Mit diesem Outfit hatte schon Jörg Haider in Österreich großen Erfolg. Auch die FDP-Wahlplakate zeigen den Rolli-Mölli. Er setzt sich so geschickt von seiner Konkurrenz ab, denn sogar der grüne Spitzenkandidaten Michael Vesper ist nur noch selten ohne Schlips zu sehen.

8 Geben Sie sich sportlich und wagemutig. Es kommt auf die Performance an. Wichtig für einen Politiker ist, dass er dynamisch wirkt. Fallschirmspringen ist dafür der ideale Sport. Damit kann ein Politiker dokumentieren, dass er noch richtig etwas draufhat. Und im Gegensatz zu den unzähligen Fußball spielenden Kollegen setzt er sich nicht der Gefahr aus, ungelenk zu wirken. Außerdem: Fallschirmspringen kann man auch noch im gesetzteren Alter von 54 Jahren.

9 Ersetzen Sie Inhalte durch flotte Sprüche, denn die sind leichter zu transportieren: „NRW braucht Tempo. Möllemann.“ Und das Tempo, mit dem Möllemann starke Sprüche besonders gegen den politischen Gegner produziert, ist in der Tat bemerkenswert: „Seh ich die Höhn, krieg ich 'nen Föhn“, ist einer seiner Lieblinge.

10 Legen Sie sich nicht auf einen Koalitionspartner fest – es könnte der falsche sein! Stimmungen können schnell kippen. Bei den Kommunalwahlen 1999 in NRW war die SPD am Boden zerstört und die CDU landesweit über 50 Prozent. Doch Jürgen W. Möllemann widerstand der Versuchung, sich auf die Seite des CDU-Kandidaten Jürgen Rüttgers zu schlagen. Seine Strategie, sich alle Optionen offen zu halten, zahlte sich aus. Denn der CDU-Spendenskandal brachte die NRW-CDU auf die Verliererstraße. Und Möllemann stand nicht auf der Verliererseite. Seitdem eine Niederlage Jürgen Rüttgers’ absehbar ist, bemüht sich der FDP-Frontmann um deutlich sichtbare Distanz.

11 Sorgen Sie für Koalitionsspekulationen. Das hält Sie im Gespräch. Sagen Sie kryptische Dinge wie: „Wenn wir stärker werden als die Grünen, dann ist es ein Gebot der Vernunft, auszuloten, ob nicht mit der FDP eine bessere Regierung zu Stande kommt als mit den Grünen.“ Aber werden Sie niemals konkret!

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