: Fischer macht Europa Beine
Der Grünen-Bundesaußenminister regt die Gründung einer europäischen Föderation an. Europa soll mehr Demokratie erhalten und die Kompetenzen zu den einzelnen Nationalstaaten klar abgrenzen. Frankreich reagiert positiv
BERLIN taz ■ Die schon von Entzugserscheinungen geplagte Joschka-Fischer-Fangemeinde kann befreit aufatmen. Der Außenminister meldete sich gestern mit einer fulminanten Rede zum europäischen Einigungsprozess in der Öffentlichkeit zurück. Vor Studenten der Berliner Humboldt-Universität entwarf Fischer das Projekt einer europäischen Föderation. Die EU, so Fischer, müsse das Step-by-step-Verfahren verlassen. Jetzt gelte es, die EU zu erweitern „ohne dabei ihre Handlungsfähigkeit in Frage zu stellen“. Innere Reform und Erweiterung müssen parallel laufen. Das könne nur gelingen, wenn „Europa neu gegründet wird“, und zwar mittels eines Verfassungsvertrags.
Die künftige europäische Föderation sollte von einer klaren Aufgabentrennung zwischen Nationalstaat und supranationalen Institutionen ausgehen. Es gehe nicht um die Entmachtung des Nationalstaats, sondern um Souveränitätsteilung.
Fischer will durch Direktwahl des künftigen europäischen Präsidenten eine starke Exekutive. Das Parlament soll aus zwei Kammern bestehen, wobei die Abgeordneten des „Unterhauses“ gleichzeitig Mitglieder ihrer nationalen Parlamente sein sollen, während das „Oberhaus“ von Vertretern der Nationalstaaten beschickt werden soll. „Das europäische Parlament muss immer ein Doppeltes repräsentieren: ein Europa der Nationalstaaten und ein Europa der Bürger.“ Sollte sich die Föderation nicht im ersten Anlauf verwirklichen lassen, so bleibe nur, ein „Gravitationszentrum“ der Staaten zu bilden, die bereit sind, den Verfassungsvertrag abzuschließen.
In einer ersten Reaktion nannte das Pariser Außenministerium Fischers Vorstoß „legitim“. Frankreich sei bereit, eine Föderation „aktiv zu verfolgen“. Karl Lamers (CDU) verlangte, „den Worten Taten folgen zu lassen“. CSU-Generalsekretär Goppel nannte Fischer „einen Ignoranten gegenüber der europäischen Idee“. Dabei hatte Fischer gemeint, auch Stoiber, „der größte Europäer, den der deutsche Boden trägt“, könne sich bedenkenlos seinen Vorschlägen anschließen.
Ganz falsch lag er da nicht: Der CSU-Chef lobte Fischers Idee der Kompetenzabgrenzung zwischen europäischer und nationaler Politik. CHRISTIAN SEMLER
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