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„Uns hält keiner mehr auf“

Nach „spielsteuernden Maßnahmen“ ihres Trainers Daum gewinnt Tabellenführer Leverkusen 4:1 gegen Frankfurt und lässt sich auch durch perfide Weißwurst-Drohungen nicht mehr beirren

aus Leverkusen KATRIN WEBER-KLÜVER

Wie sollte man auch nicht nervös werden, wenn man nach 21 Jahren Bundesliga so dicht vor der ersten Deutschen Meisterschaft der Vereinsgeschichte steht? Reiner Calmund jedoch war einer der wenigen, die unumwunden eingestanden, dass es ihm am Morgen des letzten Saisonheimspiels vor lauter Aufregung nicht gut gegangen war. Und selbst nach dem Abpfiff sah der Geschäftsführer von Bayer Leverkusen schwer mitgenommen aus.

Dabei las sich der 4:1-Sieg gegen Eintracht Frankfurt am Ende wie ein klarer Erfolg der in dieser Spielzeit zu Hause ungeschlagenen Leverkusener. „Souverän“ pflegen Trainer und Spieler ihre Auftritte seit ein paar Wochen zu nennen. Also taten sie es auch dieses Mal. Allerdings hatte sich die hoch überlegene Bayer-Mannschaft in der sommerlichen Frühjahrshitze der BayArena gegen äußerst offensivschwache und nun wieder akut abstiegsgefährdete Frankfurter zwischendurch selbst in Not gebracht. Nach der frühen Führung durch Neuville begannen die Gastgeber Kräfte zu sparen. „Wer schon mal bei 40, 50 Grad gespielt hat“, sagte Stefan Beinlich, „der weiß, dass man da nicht 90 Minuten rennen kann.“

Und auch nicht durchgehend aufpassen. Mit der ersten Torchance der Gäste in der 38. Minute fiel der Ausgleich, als Kracht besser als Nowotny an einen Eckball kam. „Wir sind alle Menschen“, sagte Calmund, „die Spieler auch, es ist klar, dass da das Nervenflattern anfängt.“ Dass zu diesem Zeitpunkt Bayern 3:0 in Bielefeld führte, hätte die Mannschaft nach menschlichem Ermessen noch nervöser machen müssen – „aber Pustekuchen“, sprach Trainer Christoph Daum und lobte das Spiel seiner Elf in Halbzeit 2: „Extraklasse.“

Wobei des Trainers Einschätzung der Halbzeitsituation anders war als die der Spieler. Während Daum bekannte, „klar, jeder wusste das“, behaupteten die Spieler einmütig, sie hätten sich für den Stand der Dinge auf der Bielefelder Alm überhaupt nicht interessiert. „Wir wussten das nicht, und keiner hat gefragt“, teilte Michael Ballack stellvertretend mit. Womöglich haben die Spieler mehr als der Trainer selbst Daums Botschaft verinnerlicht, über den Dingen zu stehen. Sie müssen sich ja wirklich in diesem Schlussakt des Titelkampfes nicht mehr mit Bayern befassen, sondern nur auf sich selbst konzentrieren. Ulf Kirsten gestand, nach dem Frankfurter Ausgleich durchaus „Bammel“ gehabt zu haben.

Ein weiteres Tor der Gäste hätte Bayer die Tabellenführung gekostet. Denn dass in Bielefeld gerade keine Sensation passierte, mussten die Leverkusener Spieler allein schon an der verhaltenen Kulisse erkennen. Jeder im Publikum wusste spätestens zur Pause, dass dieser Tag nicht mit einer Meisterfeier enden würde.

Damit also die Partie nicht gar zur großen Blamage geriet, nahm Daum in der Halbzeit „spielsteuernde Maßnahmen“ vor. Vermutlich die beste war es, Emerson zu ermuntern, sich bei seinem Comeback nach einmonatiger Verletzungspause entschlossener ins Spiel einzuschalten. Tatsächlich legte Emerson, der anfangs gewirkt hatte, als probiere er das Repertoire seiner Möglichkeiten erst noch durch, mächtig zu. Nur ein Glied in der Kette war er beim 2:1 (54.), das aus einer Ecke resultierte, die Kirsten abschloss. Brillant war dann der Pass des Brasilianers auf Rink, der abgeklärt das 3:1 (72.) erzielte. Da war das Spiel entschieden, nur noch für die Statistik erzielte Beinlich das 4:1 (80.) per Foulelfmeter.

Jetzt geht das Warten in die letzte Runde. Der nächste Gegner, die Spielvereinigung Unterhaching, zählt zu den heimstärksten Mannschaften. Ein paar Spieler haben ihre Lust erklärt, Zünglein an der Waage zu sein. Und zwar zu Gunsten von Nachbarn Bayern München, der ihnen dafür Weißbier und Würstchen liefern will. Weil aber Bayer wie gehabt drei Punkte Vorsprung auf Bayern hat, sagte Christoph Daum zum Finale im Feindesland: „Wir sind auf Sieg programmiert, da hält uns keiner mehr auf.“

Dabei überschlug sich seine Stimme fast, was meist darauf hindeutet, dass er in Rage ist – und wohl doch ein bisschen nervös. Auf seine Mannschaft überträgt sich diese Anspannung noch nicht. Die weiß, was sie kann, was sie will und nicht zuletzt, wie es zu erreichen ist. Paulo Rink sagt es so: „Cool bleiben.“

Leverkusen: Matysek - Hoffmann, Nowotny, Kovac - Neuville (83. Ponte), Ballack, Emerson, Beinlich, Schneider - Kirsten (79. Brdaric), Rink (86. Gresko)Krankfurt: Heinen - Hubtschew - Kutschera, Kracht - Zampach (46. Heldt), Rasiejewski, Guie-Mien (75. Reichenberger), Schur, Bindewald, Gebhardt (65. Sobotzik) - Salou Zuschauer: 22.500Tore: Neuville (10.), 1:1 Kracht (38.) , 2:1 Kirsten (56.), 3:1 Rink (73.), 4:1 Beinlich (80./Foulelfmeter)

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