: Jazz in ewiger Zeitlupe
Das australische Pianotrio „The Necks“ zelebrierte im KITO die Langsamkeit und erreichte ganz viel mit ganz wenig Tönen
Als es noch Schallplatten gab, konnte man bei einigen extrem tranigen Jazzaufnahmen des ECM-Labels von Jan Gabarek oder Charlie Haden den Speed-Test machen: Man spielte sie einfach statt mit 33 mit 45 Umdrehungen und stellte staunend fest, dass sie sich kaum anders anhörten. Ganz ähnlich würde es einem wohl auch bei den Stücken des australischen Trios „The Neck“ gehen, aber so wie im Duden direkt auf „Tran“ die „Trance“ folgt, so kann man auch in der Musik mit der Langsamkeit und ständigen Wiederholung so arbeiten, dass ihr stetiges Tropfen die ZuhörerInnen in fast mystische Zustände versetzt. So geschah es auch am Sonntagabend im Vegesacker KITO, als das Trio zwei (etwa eine Stunde lange) Stücke spielte, die jeweils gerade mal auf einem Ostinato basierten, das Bassist Lloyd Swanton dann auch mit einer bemerkenswerten Geduld und Intensität durchzupfte.
Pianist Chris Abraham spielte dazu zuerst nur einen Ton, dann vielleicht mal mit zwei Fingern und später gar eine simple Tonfolge - alles wohlgemerkt nicht einmal, sondern in ständiger Wiederholung, und auch der Schlagzeuger Tony Buck bearbeitete seine Felle so minimal und seriell wie nur möglich. Zuerst war man verwirrt und irritiert über diese musikalische Provokation. Die Erwartungen des Zuhörers wurden ständig enttäuscht, man wollte eine zeitlang dazwischenfahren und die längst fällige harmonische Auflösung oder Melodieentwicklung selber spielen, aber die drei spielten weiter, als wäre die Platte hängen geblieben. So war man schließlich gezwungen, genau zuzuhören, und so merkte man dann doch die schneckenhafte Entwicklung: Da drückte Chris Abraham zuerst ganz leise eine andere Taste, da variierte Lloyd Swanton den Rhythmus um eine winzige Nuance, da wechselte Tony Buck vom Besen zum Drumstick, und fast unmerklich veränderte sich das Stück.
Wenn man sich schließlich auf diese Zelebration der Langsamkeit eingelassen hatte, und dies taten offensichtlich alle ZuhörerInnen, dann entwickelte die Musik eine erstaunliche und ganz eigene Sogwirkung. Man wartete gespannt auf die nächste minimale Entwicklung und war letzlich erstaunt darüber, in welche Stimmungen und Extreme das Trio die Musik reisen ließ. Denn nichts anderes als Klangreisen oder besser -wanderungen waren hier zu hören, und dabei ging der Weg aus meditativen Tontälern auch in laute, kakophonische Geräuschgebirge, um dann jeweils an verschlafenen Soundstränden auszuklingen.
Es ist schwer, die Musik von „The Necks“ genau zu definieren: Sie kommen daher wie ein traditionelles Jazztrio, und ein großer Teil ihrer Musik ist offensichtlich auch improvisiert, aber die Vorbilder sind wohl eher die Minimalisten der Neuen Musik und deren modischen Ableger der Ambient. Aber was letztlich nur zählt, ist ja die Wirkung der Musik, und die war zumindest an diesem Abend extrem. Man muss schon sehr gut sein, um so viel mit so wenig Tönen
Wilfried Hippen
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