: Er liebt graue Tage
Arsène Wenger, hoch geschätzter Coach von Arsenal London, will heute den Uefa-Cup gewinnen und ist als Ribbeck-Nachfolger im Gespräch
aus Kopenhagen RONALD RENG
Arsène Wenger liebt Tage, an denen er frei hat vom Fußball. Dann kann er nämlich richtig viel Fußball schauen. „Sonntage in England, wenn es grau ist und regnet, sind großartig“, sagt der französische Trainer von Arsenal London. „Ich bleibe den ganzen Tag zu Hause, und im Fernsehen kommt ein Spiel nach dem anderen.“
Schon um 13 Uhr die zweite englische Liga auf Skysports, dann italienischer Fußball auf Channel 4, und dank Satellitenschüssel auch Übertragungen aus Frankreich oder der deutschen Bundesliga. Wenger (50), dessen Team heute in Kopenhagen das Uefa-Cup-Finale gegen Galatasaray Istanbul bestreitet, ist in einem Alter, in dem andere Trainer gerne sagen, sie hätten schon alles gesehen. Er sucht noch immer mit studentischem Eifer nach neuen Spielern und taktischen Ideen. Vergangene Woche wurde er in Deutschland als möglicher Nachfolger von DFB-Teamchef Erich Ribbeck genannt, was einerseits kurios war, fußten die Meldungen doch auf einem Interview, in dem Wenger ausdrücklich ausschloss, dass er Arsenal vor 2002 verlassen werde. Andererseits musste irgendwann auch beim DFB sein Name fallen; wie zuvor von Tokio bis Madrid, wenn Trainerwechsel debattiert werden.
Wenger, aus Duttlenheim im Elsass, gilt als einer der immer noch seltenen Spitzentrainer, die in jedem Land erfolgreich arbeiten könnten. Den Schotten Alex Ferguson, Champions-League-Gewinner mit Manchester United, kann man sich mit seiner rauhen Art nur schwer außerhalb Großbritanniens vorstellen, selbst Franz Beckenbauer scheiterte einst bei Olympique Marseille an seinen Sprachproblemen. Wenger, eloquent und sprachbegabt und vor allem eindidaktisch außergewöhnlich guter Fußball-Lehrer, war französischer Meister mit AS Monaco, japanischer Pokalsieger mit Nagoya, englischer Meister und Cupgewinner mit Arsenal – und überall „Trainer des Jahres“.
Dabei würden ihn die wenigsten auf den ersten Blick als Fußballtrainer erkennen; nicht mal im Trainingsanzug. 1, 92 Meter groß und hager, das graue Haar streng seitlich gescheitelt; der erste Gedanke von Arsenals Tony Adams war: „Der sieht aus wie Schullehrer.“ Wengers Karriere ist ungewöhnlich: Nur zehn Partien als Profifußballer für Racing Straßburg, dafür aber einen Universitätsabschluss in Wirtschaftslehre. Wengers Reputation wurde nicht gerade gestärkt, als er kurz nach Dienstbeginn bei Arsenal im Herbst 1996 die Mannschaft vor einem Match in den Tanzsaal ihres Hotels bat – zur halbstündigen Gymnastik. „Die Spieler fanden meine Methoden lächerlich“, erinnert er sich und kann darüber heute selber lachen.
Anfängliche Skeptiker wie Kapitän Adams sind längst glühende Fürsprecher. „Dank seiner Gymnastik kann ich jetzt meinen Fuß hinter den Kopf klemmen“, sagt er, und in seiner Stimme liegt schon wieder scherzhafter Spott. Ernsthaft schwärmt er jedoch von Wengers Methodik. Platitüden zur Motivation oder gar Geschrei hört sein Team von ihm nicht. Stattdessen starrt er in der Halbzeit schon einmal fünf Minuten lang die Wand an, bis sich die Emotionen aller beruhigt haben, und gibt dann sachliche, taktische Anweisungen. Seine Sorgfalt geht bis zum Speiseplan der Spieler, Broccoli empfiehlt er gerne – und auch pharmazeutische Hilfsmittel, etwa das umstrittene muskelaufbauende Kreatin oder zur Halbzeit Koffein-Tabletten. Die Einnahme ist freiwillig, die Stoffe sind legal, doch dass Wenger solche kontroversen Mittel befürwortet, irritiert vordergründig im Bild vom rechtschaffenen Trainer.
Der Uefa-Pokal wäre seine erste internationale Trophäe. Trotzdem würde er den Triumph nicht lange genießen. „Du willst immer das, was du nicht hast“, sagt Wenger, also wird ihn schon bald der Gedanke jagen, wie er im nächsten Jahr endlich Erfolg in der Champions League haben könnte; diesem Wettbewerb, der ihm Triumphe regelmäßig verwehrte. Eine echte Ruhephase gibt es für Arsène Wenger nicht; auch nicht vor dem Fernseher. Für die fußballfreie Zeit „habe ich eine große Sammlung mit Videos von Spielen“. Zwischendrin muss nur mal sein Hund raus.
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