: Wehrpflicht abschaffen?
Wenn die Armee schon nicht abgeschafft werden kann, dann sollen Professionelle den Job erledigen. Der Verzicht auf Zwangsrekrutierung läge im internationalen Trend.
„Weder die Armee noch die Wehrpflicht dürfen abgeschafft werden!“ Wenn Konservative darauf beharren, ist das nur folgerichtig. Amüsant ist es dagegen, die politischen Metamorphosen derer zu verfolgen, denen ein Leben lang das T-Shirt näher war als der Waffenrock. Schade, dass es keine Wehrpflicht für 50- und 60-Jährige gibt. Man würde es gerne sehen, wie Joschka Fischer, Antje Vollmer, Sybille Tönnies und Erich Rathfelder im Bomber die Zivilgesellschaft über den Dächern des Kosovo und Tschetscheniens retten.
Bleiben wir sachlich. Es gibt auch scheinbar rationale Argumente gegen die Abschaffung der Wehrpflicht. Wer eine republikanische Armee möchte, der sollte junge Menschen mit demokratischer Grundhaltung zum Wehrdienst ermuntern, lautet eines davon.
Es ist ja völlig in Ordnung, wenn die „Staatsfeinde“ und Systemkritiker von einst Frieden mit der Gesellschaft geschlossen haben und den Drang verspüren, den Staat zu tragen. Nur ärgerlich, dass dieser Selbstfindungsprozess auf Kosten der Nachgeborenen geht.
Die Abschaffung der Armee und Freiheit von allen staatlichen Zwangsdiensten wären elf Jahre nach Ende des Kalten Krieges durchaus vernünftige Forderungen des politischen Milieus, das sich einst die freie Entfaltung der Persönlichkeit auf ihr Banner geschrieben hat. Aber selbst wenn man angesichts der Vertreibung der Kosovaren und des Krieges in Tschetschenien nicht so weit gehen will, sind die Warnungen vor den Gefahren einer Berufsarmee, die sich demokratischer Kontrolle entziehen und zum Staat im Staate werden könnte, nicht wirklich überzeugend. Vor Stalingrad und in Vietnam haben Zwangsrekrutierte, nichts anderes sind Wehrpflichtige, gewütet. Ob mit Professionellen oder mit Wehrpflichtigen, ob in einer Demokratie oder unter einem autoritären Regime, Armeen sind per se undemokratisch, und das Erziehungsziel lautet noch immer: Habt Mut zum Töten!
Auch die deutsche Vergangenheit taugt nicht wirklich als Rechtfertigung für die Beibehaltung der Wehrpflicht. Bleibt gelassen, Deutschland ist recht normal geworden, möchte man den Besorgten zurufen. Wenn die USA, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Portugal und Italien ohne Wehrpflicht auskommen, brauchen wir keine Grundsatzdiskussion über deutsche Sonderwege. Seit die Funktionseliten und die Gefolgschaft des Faschismus hinweggestorben sind, ist das Land nicht militaristischer, nationalistischer als andere. Machen wir also gemeinsame Sache mit den anderen und schaffen die Wehrpflicht ab!
Endgültig scheinheilig werden die Verfechter der Wehrpflicht, wenn sie beklagen, mit dem Kriegsdienst würden doch auch zigtausende Zivildienstplätze wegfallen und die gebrechliche Omi ihren jugendlichen Beistand verlieren. Hinter diesem Argument schimmert ein preußischer Untertanengeist, der meint: Nur ein gezwirbelter Junge wird ein guter Mann. Neudeutsch gewendet heißt es: Die Jugend der Spaßgesellschaft würde während des Zivildienstes ihr soziales Gewissen schulen. Hier zeigt sich der eigentliche Zwangscharakter vieler eifriger Unterstützer des vaterländischen Dienstes. Darum im Klartext: Deutschland braucht keine Jugend, die Zwangsdienste am Volkskörper leistet. In modernen, demokratischen Gesellschaften gibt es dafür Jobs in der Pflegebranche. Die sind nun auch bei uns zu besetzen.
Absurd wird die Beschwörung des allgemeinen Militärdienstes, wenn behauptet wird: Die Bundeswehr drohe bei einer Aufhebung der Wehrpflicht zum Sammelbecken rechtsextrem orientierter Machos zu werden. Nun ja. Es waren nie die Edelsten, Klügsten und Feinsinnigsten der Gesellschaft, die sich dem Kriegshandwerk verschrieben haben, ob als Söldner oder als General. Die Forderung kann nur lauten: Wenn die Armee schon nicht abgeschafft werden kann, dann sollen Professionelle den Job erledigen. Die haben dann wenigstens keine Skrupel mehr, dort zu wirken, wo der demokratische Souverän sie eingesetzt sehen möchte. EBERHARD SEIDEL
Autorenhinweis:
Der Autor ist Ressortleiter Inland bei der taz und arbeitete während seines Zivildienstes als Anstreicher, Fahrer und pädagogische Hilfskraft im Blindeninstitut Würzburg.
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