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Unten mit Glasgow

Lustige, wilde Geschichten zu schreiben ist besser, als wild Drogen zu nehmen: Ein Porträt des schottischen Schriftstellers Des Dillon

von RALF SOTSCHECK

Des Dillon ist klein, aber kräftig. Die kurzen, blonden Haare hat er zurückgekämmt, die Hände in den Hosentaschen, die Schultern hochgezogen, denn es weht ein scharfer Wind durch die Häuserschluchten. Dillon spricht schnell, mit starkem Glasgower Akzent, unter dem ein leichter irischer Einschlag hervorkommt.

Er nimmt die rechte Hand aus der Tasche und zeigt mit dem Daumen hinter sich. „Das hier ist Castlemilk am Stadtrand von Glasgow, eine der größten Sozialbausiedlungen Europas aus den Sechzigerjahren“, sagt er. „Hier leben 60.000 Menschen. Der Weg nach Castlemilk führt durch ein Labyrinth von Straßen. Meiner Ansicht nach wollten die Architekten die Siedlung verstecken. Es gibt hier die gleichen Probleme wie in den Innenstadtghettos – Alkohol, Drogen, Obdachlosigkeit.“

Wir stehen vor einem heruntergekommenen Einkaufszentrum hoch über der Stadt. Aus dem Supermarkt kommen drei Frauen mit Plastiktüten, vor der „Off-license“, dem Schnapsladen, stehen ein paar angetrunkene Männer. Dillon kennt die meisten in Castlemilk, er ist der Schriftsteller vor Ort. Die Stelle finanziert der Kulturausschuss der Stadt. „Mein Job ist es, Leute zu motivieren, Romane oder Gedichte oder Kurzgeschichten zu schreiben“, sagt er. „Traditionell ist die schottische Arbeiterklasse von der Kunst, von der Bildung und von der Macht abgeschnitten. Ich versuche, sie da herauszuholen, sie dazu zu bringen, ihre Geschichten und ihre Gedichte aufzuschreiben.“

50 Leute sind inzwischen in seiner Schreibgruppe, zwei sind bisher gedruckt worden, dazu hat die Gruppe einen Band mit Kurzgeschichten und einen Gedichtband herausgegeben. Eine der Frauen, sie ist ungefähr 50 und macht erst seit einem Jahr mit, schreibt nun Drehbücher für eine schottische Fernsehserie. „Ich glaube, ich habe Erfolg hier, weil ich aus ähnlichen Verhältnissen und einer ähnlichen Gegend stamme, aus Coatbridge, einer Stadt irischer Einwanderer“, sagt Dillon. Er hat acht Geschwister, sein Vater war arbeitslos und klaute im Winter Kohlen, weil es alle in Coatbridge so machten.

Bis vor zehn Jahren nahm Dillon jede Droge, die er in die Finger bekam. „Mit zwölf habe ich das erste Mal Klebstoff geschnüffelt“, sagt er. „Das war damals modern.“ Später stieg er auf härtere Sachen um: Magic Mushrooms, Kokain. Dann kam der Alkohol hinzu. „Als ich anfing zu saufen, bin ich völlig durchgeknallt. Bei meinem ersten Vollrausch warf mich der Pfarrer aus der Kirche, weil ich um den Altar herumstolperte und behauptete, ich sei der Teufel.“

Er brach die Schule frühzeitig ab, reparierte eine Zeitlang Spielautomaten, reiste durch Schottland und klaute Geld. Mit 22 kam er ein wenig zur Besinnung und trug sich als Gasthörer in der Strathclyde-Universität für englische Literatur ein. „Es war nicht leicht. Tagsüber redete ich über Byron und Tennyson, abends prügelte ich mich mit den Jungs in Coatbridge.“

Gleich im ersten Studienjahr gewann er den Dichterpreis der Fakultät, im zweiten Jahr warf er alles hin, pumpte sich mit Drogen voll und landete in Blackpool im Gefängnis. Einer seiner Dozenten, David Jago, schrieb ihm jede Woche und überredete ihn schließlich, an die Universität zurückzukommen. „Ohne ihn wäre ich längst tot oder im Irrenhaus“, sagt Dillon. Er kam von Drogen und Alkohol los, und seitdem hat er nicht mal mehr ein Bier angerührt.

Stattdessen begann er, seine Erfahrungen aufzuschreiben. „Als ich Huckleberry Finn gelesen habe, ist mir klar geworden: Man kann Geschichten so erzählen, wie man sie auf der Straße erzählt.“ „Duck“, sein erster Roman, ist für das schottische Fernsehen als Kurzfilm gedreht worden. „Me And Ma Gal“, sein nächstes Buch, ist eine Erzählung über ihn und seinen Jugendfreund Gal. „Itchycoo Blue“ ist quasi eine Fortsetzung, aber diesmal als Fiktion.

Es sind Geschichten voller Alkoholverrücktheiten und Drogenwahnsinn, Geschichten aus den Townships im Wilden Westen Schottlands. Sie sind sehr realistisch, aber man kann Dillon nicht mit James Kelman oder Irvine Welsh vergleichen, denn ihm fehlt deren Zynismus. „Ich hasse diesen düsteren Ausblick auf das Leben“, sagt Dillon. „Humor ist unser Balancestab, und die lustigsten Sachen geschehen, wenn die Probleme so riesig sind, dass sie fast schon absurd sind.“

Dillons Erzählungen sind so schnell wie seine Sprache, und lustig sind sie allemal. Er arbeitet viel mit typografischen Mitteln, die fast wie Illustrationen wirken. Manche Textstellen sind groß und fett gedruckt, andere kursiv, quer, längs – er verwendet das Stilmittel aber nicht um seiner selbst willen, sondern dort, wo es inhaltlich Sinn macht. Als eine der Hauptfiguren in „Itchycoo Blue“ zum Beispiel etwas nicht kapiert, malt Dillon ein großes Fragezeichen. Sein schielender Freund, der es ebenfalls nicht verstanden hat, bekommt ein spiegelverkehrtes Fragezeichen.

In seinem neuen Buch, „The Return Of the Busby Babes“ geht es um die Fußballer der Albion Rovers, die vom Geist des legendären Teams von Manchester United besessen sind. Dillon hat daraus bereits ein Drehbuch gemacht, sein Agent versucht es in Hollywood zu verkaufen. Mit seinem Namen würde er durchaus dorthin passen, findet Dillon: „Des Dillon? Das klingt wie eine alberne Zeichentrickfigur von Disney.“

Des Dillon: „Return of the Busby Babes“, Headline Press, Paperback, 308 Seiten, 25 DM

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