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Leben im Transit dauert unerträglich lange

Flüchtlinge dürfen höchstens 19 Tage im Transitbereich des Flughafens festgehalten werden. Aber die Verfahren ziehen sich in die Länge. Oftmals sitzen die Menschen 100 Tage und länger. Die Menschenrechtsexpertin Claudia Roth (Grüne) kritisiert ihre eigene Partei

BERLIN taz ■ Nach dem Selbstmord einer 40jährigen Asylbewerberin im Transitbereich des Frankfurter Flughafens plädiert die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages, Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), für „eine grundsätzliche Veränderung“ des Flughafenverfahrens. Allein eine räumliche Verbesserung für die Flüchtlinge reiche nicht aus. Der Menschenrechtsausschuss hat es sich auch zur Aufgabe gemacht, sich um menschenrechtliche Aspekte in der Flüchtlingspolitik zu kümmern, und war vom Bundesinnenministerium schriftlich über die näheren Umstände des Todes der Frau informiert worden.

Wenn jemand in eine so existenzielle Krise gerate, dass er sich das Leben nimmt, „muss es in dem Verfahren Menschenrechtsprobleme geben“, sagte Roth. Sie wies darauf hin, dass unter der rot-grünen Bundesregierung die Aufenthaltsdauer der Flüchtlinge im Flughafentransitbereich länger geworden sei. „Ich erwarte, dass unter Rot-Grün zumindest die Logik wieder umgedreht wird: Flüchtlinge sind vorrangig Schutzbedürftige und keine Missbraucher.“

Roth plädiert dafür, dass die Flüchtlinge auf keinen Fall länger als längstens die gesetzlich vorgeschriebenen 19 Tage in den abgeschlossenen Räumen des Transitbereichs bleiben dürften. Danach sollten sie in einer Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht werden.

Ins Flughafenverfahren gelangen Menschen, die aus einem sicheren Herkunftsland kommen, keine geltenden Einreisepapiere besitzen oder bei denen der Verdacht besteht, dass ihre Personalpapiere gefälscht sind. Während des Verfahrens dürfen sich die Flüchtlinge nur in dem dafür vorgesehenen Transitbereich aufhalten. Juristisch sind sie damit aber noch nicht nach Deutschland eingereist.

Derzeit halten sich die Menschen deutlich länger als die vorgeschriebene Frist im abgeriegelten Transitbereich auf. Sie müssen erklären, dass sie freiwillig dort bleiben. Wer dies verweigert, dem droht nach den 19 Tagen die sofortige Abschiebehaft.

Die Flüchtlinge sind im vorigen Jahr deutlich länger als zuvor im Transitbereich festgehalten worden. Nach Informationen des Flughafensozialdienstes, der die Flüchtlinge betreut, waren im vorigen Jahr 285 Menschen 30 Tage und länger im Transitbereich (1998: 115, 1997: 85). Im vorigen Jahr wurden 110 Flüchtlinge gar hundert Tage und länger dort eingepfercht (1998: 16, 1997: 7 ). 1999 mussten 44 Menschen mehr als 200 Tage im Transit zubringen (1998: 1, 1997: 2).

Am Dienstag hatte das Bundesinnenministerum auch den Innenausschuss mündlich und den Menschenrechtsausschuss schriftlich über den Selbstmord der Asylbewerberin informiert. Vertreter aller Parteien waren sich darüber einig, dass die Zustände im Transitbereich des Frankfurter Flughafens nicht haltbar sind. Die Menschen leben auf engstem Raum zusammengepfercht. Es gibt keine Trennung zwischen Männern und Frauen, alleinreisenden Minderjährigen und Familien. Die Fenster in den Räumen können nicht geöffnet werden – eine Klimanlage existiert nicht.

KARIN NINK

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