: Berlin hinter Warschau
Wer ist David, wer Goliath? Die „Berliner Tage in Warschau“ haben in Polen nicht interessiert
von UWE RADA
Es stimmt gar nicht, dass kein Schwein mehr anruft. Ständig klingelt das Telefon, und selbst auf den Fernsehbildschirmen, immerhin acht an der Zahl, geht ab und an ein Signal ein. Doch niemand hebt ab, keiner interessiert sich. „Silenzia“ hat Ottomar Kiefer seine Installation im Institut für zeitgenössische Kunst im Park Lazienkowski in Warschau genannt. Treffender hätte eine Metapher für den Abstand Berlins zu Warschau nicht sein können.
Neben der Arbeit von Ottomar Kiefer haben auch Roland Schefferski, Jozef Legrand, Hans-Peter Kuhn, Bernardo Giorgi sowie Nina Fischer und Maroan el Sami im Rahmen der Ausstellung „Artroom Berlin“ in Warschau ausgestellt. Die vom Kreuzberger Künstlerhaus Bethanien organisierte Auswahl junger Kunst war einer von mehreren Beiträgen aus der deutschen Hauptstadt im Rahmen der „Berliner Tage in Warschau“.
Das polnische Publikum aber blieb fern. Und hätte nicht Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen zusammen mit dem Warschauer Stadtpräsidenten Pawel Piskorski das Teilstück eines Fahrradwegs Warschau-Berlin eingeweiht, wären die „Berliner Tage“ in der zweiten Maiwoche nicht einmal von den polnischen Medien beachtet worden.
Dabei hatte sich Volker Hassemer, ehemaliger Berliner Stadtentwicklungssenator und nunmehr Chef der Haupstadtmarketing-Gesellschaft „Partner für Berlin“, das ehrgeizige Ziel gesetzt, an der Weichsel für den Standort Berlin zu werben. Gleich mehrere Senatoren waren gekommen, das geladene Publikum diskutierte mit dem Berliner Regierenden über die „Erfolge wirtschaftlicher Zusammenarbeit zweier Partnerstädte“, und das Goethe-Institut organisierte Berliner Filmtage, deren bemühter Höhepunkt Wolfgang Beckers Berlin-Ballade „Das Leben ist eine Baustelle“ bildete.
Was aber mag Eberhard Diepgen gedacht haben, als er die Skyline entlang der Aleja Solidarnosci und der Aleja Jerozolimskie betrachtete? Künden die Niederlassungen europäischer Banken, die Geschäftigkeit auf der Marszalkowska nicht eher davon, dass Berlin nichts ist als ein unbedeutender Handelsplatz zwischen den Finanzzentren Frankfurt am Main und Warschau? Selbst auf der polnischen Buchmesse, die wenige Tage nach den „Berliner Tagen“ im Kulturpalast stattfand, war nur von Frankfurt/Main und der polnischen Präsentation auf der diesjährigen Herbstmesse die Rede. Wie muss sich Eberhard Diepgen gefühlt haben, wenn ihm wieder einmal deutlich wurde, dass es die Ost-West-Drehscheibe, die Berlin seit zehn Jahren sein möchte, bereits gibt, nur eben sechshundert Kilometer weiter östlich?
Berlin ist weit weg von Warschau und am weitesten ist es von Praga aus. Hier, am östlichen Weichselufer, zwischen dem Bahnhof Warszawa Wschodnia und dem Stadion des Jahrzehnts, beginnt der Osten, den es auch in Polen gibt. Tausende Händler aus Russland, der Ukraine, aber auch Türken und Vietnamesen machen den „Jahrmarkt Europa“ rund um das Stadion zu einem der größten Basare des Kontinents. Zwar werden immer noch Schnittblumen angeboten, doch ein Vietnamese hat sich bereits einen Mercedes-Transporter gekauft, und auf einem zehn Meter hohen wackligen Metallgerüst inmitten der provisorischen Bretterbuden künden handbemalte Reklametafeln in kyrillisch von der ursprünglichen Form der Akkumulation.
In Berlin steht auf dem ehemaligen „Polenmarkt“ am Potsdamer Platz heute die Daimler-City. In Warschau dagegen spürt man, dass es zwischen dem Reklameturm in Praga und der Leuchtreklame auf den Hochhäusern im Zentrum nur einen graduellen Unterschied gibt. Warschau will zwar sein, Warschau ist aber auch und stößt sich nicht daran, was es auch noch ist.
Und Warschau, die Berliner Partnerstadt, weiß, warum die polnischen Kulturtage in Berlin (siehe unten) keine Warschauer Tage waren, sondern Posener. Schliesslich verlaufen die eigentlichen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Berlin und Polen gar nicht über Warschau, sondern im Berliner Einzugsbereich, der bis Szczecin, Poznan und Wroclaw reicht. Die einen gehen putzen in Berlin, die andern machen in Warschau Geschäfte. Auch Polen ist ein zweigeteiltes Land.
Bernardo Giorgi, einer der Berliner Künstler, die im Zamek Ujazdowski, dem Schloss, in dem das Institut für zeitgenössische Kunst untergebracht ist, ausgestellt haben, ist sich dessen bewusst. Er hat deshalb das Thema deutsch-polnische Grenze als Multimediaprojekt bearbeitet. Doch in der Boomtown Warschau hat das kaum jemanden interessiert: „Silenzia“ eben.
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