: Hey, Sisyphos, frag mich, wer ich bin!
Die Europäische Kindertheaterwoche ist eröffnet. Sieben Originalproduktionen aus sechs Ländern zeigen „Geschichten zur Zeit“
Sisyphos sieht fast aus wie Superman: hautenger Bodysuit, durchtrainierter Körper. Nur dass sein Blick melancholisch ist und die Farben seines Anzugs entsprechend erdig sind. „Frag mich, wer ich bin!“, sagt ein pfiffiges Persönchen zu ihm, das da in marionettenhafter Pose auf der Bühne steht und an dem sich ein Bildhauer werkelnd zu schaffen macht. „Wer bist du?“, fragt also Sisyphos, und die kleine, rostrote Frau antwortet: „Ich bin der Stein.“ Daraufhin schultert er sie und schleppt sie ein verrostetes Riesengerüst hinauf.
Da weiß man gleich: So geht das schon eine ganze Ewigkeit. Fast auf der Spitze angelangt, entwischt die kleine Frau dem starken Mann und flitzt vom Gerüst wieder herunter. Alles beginnt von vorn. Eine Geschichte von Stillstand und Wiederholung, von der Ewigkeit, die eine Sekunde dauern kann: in sehr sinnlichen und poetischen Bildern dargestellt vom Petersburger „Teatr Baltitschesky Dom“, das am Samstag in der Akademie der Künste die „Europäische Kindertheaterwoche“ eröffnete.
Sieben herausragende Kinder-und Jugendtheater aus sechs Ländern werden bis zum 25. Mai „Geschichten zur Zeit“ spielen – allesamt Originalproduktionen für das Berliner Festival und hier also in Uraufführung zu sehen! Parallel gibt es in der Akademie der Künste vom 12. Mai bis 25. Juni die Ausstellung „Zeitreise. Eine Ausstellung für Zeitsucher und Zeitforscher zwischen 6 und 15 Jahren“. Das Kinder- und Jugendtheaterzentrum der Bundesrepublik Deutschland, Organisator des Festivals, hatte vor zwei Jahren bei verschiedenen renommierten europäischen Kindertheatern angefragt, ob man sich vorstellen könnte, etwas zum Thema „Zeit“ einzustudieren. Die Ergebnisse sind jetzt zu sehen.
Es begann am Samstag mit Sisyphos. Am Sonntag gab es dann das traumhafte Schweizer Puppentheater von Peter Rinderknecht über den Streit zwischen einem Kuckuck in der Kuckucksuhr und seinem Sohn: die „Portofino-Ballade“. Das Theater der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien, Agora, spielt „Der kleine rote Prinz“. Dieser kleine Prinz ist Aschenputtels Sohn, und wir erfahren also, wie die Geschichte weitergegangen sein könnte. „Das Bild ist fixierte Zeit“, sagen die Leute von Agora und fragen: „Was geschieht vorher und was nachher?“
Dass all diese fantasievoll-fantastischen Aufführungen auf das Kinder- und Jugendtheater in Berlin ausstrahlen sollen, wünschen sich die Veranstalter vom Theaterzentrum, die im Rahmen einer Pressekonferenz sichtlich begeistert die Produktionen vorstellten. Und fast hat man den Eindruck, dass sie das hiesige Kindertheater für reichlich entwicklungsbedürftig halten, zumindest, was seine poetischen Kräfte betrifft. Kindertheater, sagt Veranstalterin Christel Hoffmann, entstehe doch längst nicht mehr aus sozialer Motivation heraus, wie noch vor 25 Jahren, sondern sei inzwischen eine rein künstlerische Entscheidung für bestimmte Ausdrucksformen.
Ob die Auswahl den eigenen Maßstäben gerecht wird, kann man nun in dieser Woche prüfen. Aber die Chancen sind gut. Aus Schweden kommt das Regionteatern Blekinge Kronoberg mit einem Stück über die Frage „Was bedeutet Zeit für eine Familie, in der Kinder und Erwachsene gleich alt sind?“ („Die Lumpenfamilie“). Das Stella-Theater aus Den Haag spielt eine Variation über die Geschichte vom Schneewittchen: „Bianca und die Jäger“. Und politisches Jugendtheater über Wege des Zusammenlebens von Menschen aus verschiedenen Kulturen spielt das Greenwich and Lewisham Young Peoples Theatre aus London. ESTHER SLEVOGT
Bis zum 25. Mai in der Akademie der Künste, der Schiller Theaterwerkstatt und der Pettenkofer-Grundschule in Friedrichshain. Infos und Karten unter Tel. 5 59 63 16
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