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Israels Freunde ergreifen die Flucht

Im Südlibanon kehren Schiiten in ihre Dörfer zurück, die bis vor kurzem besetzt waren. Die mit Israel verbündeten Milizionäre ergeben sich, wechseln die Seiten oder hoffen an der Grenze auf Asyl. Das Militär drängt auf schnellen Abzug

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Nach fast zwanzig Jahren israelischer Besatzung sind jetzt die ersten schiitischen Zivilisten in ihr Heimatdorf Taibe im Südlibanon zurückgekehrt. Erst vor wenigen Tagen hatte die mit dem israelischen Militär verbündete Südlibanesische Armee (SLA) die Kontrolle über den Ort übernommen. Die Milizionäre der SLA ließen ihren Posten kampflos zurück, als die schiitische Bevölkerung, darunter Aktivisten der Hisbullah-Guerillas, nach Taibe zurückkehrte. Ein ähnliches Schauspiel hatte sich bereits am Wochenende an dem SLA-Posten Kantara abgespielt, wo nun die Flagge der Hisbullah gehisst ist.

Der Plan des israelischen Militärs, den Abzug schrittweise durch eine Übergabe der Stützpunkte an die verbündete Miliz vorzunehmen, wird damit zunehmend fraglich. Dazu kommt die Eskalation der Kämpfe mit den Guerillas. Das israelische Militär drängt deshalb auf einen vorgezogenen Abzug, möglicherweise bis Mitte Juni oder noch früher. Problematisch dabei ist, dass selbst bei dem geplanten Abzug bis zum 7. Juli die Zeit für die Vorbereitungen, darunter der Bau eines Zauns entlang der internationalen Grenze, kaum ausreicht.

Mit Blick auf den baldigen Abzug verschaffen sich SLA-Angehörige, die nicht aus ihrer Heimat abziehen wollen, auf eigenen Wegen Waffen. Eine der UNO-Forderungen hinsichtlich des Einsatzes internationaler Schutztruppen ist die Entwaffnung der SLA.

Bei den südlibanesischen Milizionären setzte zudem eine Welle der Fahnenflucht ein. Innerhalb von nur einer Woche desertierten offiziellen israelischen Angaben zufolge 36 Soldaten. Mindestens doppelt so viele Soldaten sollen sich jüngst den libanesischen Behörden gestellt haben und warten nun auf einen Prozess.

Die SLA-Angehörigen treibt ihre unsichere Zukunftsperspektive und die Drohungen von Seiten der Hisbullah in die Flucht. Scheich Hassan Nasrallah, Chef der schiitischen Guerillas, hatte den mit Israel Kollaborierenden erst vor kurzem das Angebot gemacht, sich durch „den Mord an einem israelischen Offizier“ zu „rehabilitieren“. Nun wiederholte er seine Warnung: „Wer sich nicht freiwillig stellt, dem droht das Todesurteil.“

Nach israelischen Informationen gehört die Mehrheit der Deserteure dem 70. SLA-Regiment an, das von schiitischen Muslimen gestellt wird und faktisch nicht mehr existiert. Die SLA-Milizionäre spalteten sich zunehmend in schiitische und christliche Fraktionen. Den Berichten zufolge seien die Schiiten eher bereit, sich ihren Familien anzuschließen und in ihre alten, meist im Norden gelegenen Dörfer zurückzukehren. Bei den meisten Schiiten handelt es sich um einfache Soldaten, und nicht selten kämpft einer ihrer Brüder in den Reihen der Hisbullah. Ein Teil der SLA-Deserteure lasse sich bereits von den schiitischen Widerstandsbewegungen Amal oder Hisbullah rekrutieren, hieß es.

Andere SLA-Angehörige versammelten sich mit der Bitte um Asyl für sich und ihre Familien an der israelischen Grenze. Ehud Barak hatte den alliierten Truppen für die Zeit nach dem Abzug die Aufnahme in Israel zugesagt.

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