: Die Omi der Herzen
Die verstorbene Stiefgroßmutter von Lady Di: Ein Leben wie ein schlechter Roman
von STEFAN KUZMANY
. . . Davita schrie wie ein verängstigtes Tier auf, das in eine Falle geraten war. Sie wollte weglaufen. Aber er packte sie, hielt sie am Handgelenk fest, und als sie sich freikämpfen wollte, zog er sie unbarmherzig in seine Arme. „Lassen Sie mich, lassen Sie mich los!“ schrie sie. Sie wußte, dass ihr Widerstand ihm Vergnügen bereitete; außerdem war er viel zu stark für sie. „Ich werde dir beibringen, mir zu gehorchen und mich zu lieben!“ sagte er. „Ich hasse Sie, ich hasse Sie!“ versuchte sie zu schreien. Doch die Worte blieben ihr in der Kehle stecken, als sich sein Gesicht dem ihren näherte und er sie küssen wollte. Sie versuchte wieder zu schreien und kämpfte mit aller Kraft gegen ihn an. Plötzlich hörte sie laut eine wütende Stimme sagen: „Was zum Teufel tun Sie hier?“ Da wußte sie, dass sie im letzten Moment gerettet worden war . . .
Etwas matt, aber nicht wirklich ermüdet senkte Dame Barbara Cartland die Stimme. Genug für heute. Zärtlich strich sie über das lange weiße Haar ihres Pekinesen Mai Mai. Sechstausend Worte hatte sie ihrer Sekretärin heute wieder diktiert, wie jeden Tag, in der Bibliothek ihres Anwesens Camfield Place vor den Toren Londons, auf dem Sofa, eine wohlige Wärmflasche an ihren Füßen und den treuen Mai Mai an ihrer Seite.
Dame Barbara Cartland liebte Pink. Sie wusste: Pink ist gut für das Hirn
Sanft spielte das Licht durch die großen Fenster der Bibliothek, das zarte Grün des gepflegten Rasens draußen traf auf das kräftige Pink ihres Kleides und ihrer Lippen. Sie liebte Pink. Sie wusste: Pink ist gut für das Gehirn. Der Stoff schimmerte glänzend wie ihr Haar. Aufwendig bestickte Puffärmel umrahmten das großzügig geschnittene Dekolleté und betonten durch ihre Fülle die schmal geschnittene Taille. Der Rock bauschte sich dank mehrerer Lagen von Tüllunterröcken weit auf, und seinen bodenlangen Saum zierten aufwendige Rüschen. Hunderte von goldenen Pailletten, die das ganze Kleid übersäten, reflektierten das Licht und ließen diesen Traum von Pink in der Tat wie einen Sonnenstrahl aufleuchten.
Dame Barbara ließ ihre Gedanken schweifen, weit zurück in die Vergangenheit. Ach, die gute Vergangenheit. „Glauben Sie, dass sich die Gesellschaft sehr verändert hat?“, hatte sie einmal einer dieser . . . Reporter gefragt. „Natürlich, my dear. Wie käme ich sonst dazu, mit jemandem wie Ihnen zu sprechen?“
Am neunten Juli 1901 erblickte Mary Barbara Hamilton Cartland, Tochter von Bertram Cartland und Mary Hamilton, in Edgbaston, im Haus ihrer Großeltern,das Licht der Welt. Ihr Bruder Ronald folgte 1907, Anthony 1913. Die Familie hatte nicht viel Geld, und die Versuche des Vaters, die Situation durch fortgesetztes Glücksspiel zu verbessern, schlugen fehl. Nicht genug damit; die Familie Cartland wurde zerrissen: Der Erste Weltkrieg wütete in Europa, ihr Vater fiel im Mai 1918. Mehr als einmal hatte sie versucht, mit ihm über ihre finanzielle Lage zu sprechen. Er hatte ihr immer geantwortet, sie solle sich nicht in seine Angelegenheiten einmischen. Doch nun, nachdem er tot war, wurde sie mit dem konfrontiert, was sie befürchtet hatte. Die Rechnungen stapelten sich vor ihr. Selbst in ihren schlimmsten Befürchtungen hatte sie nicht gedacht, dass sie außer etwa zweihundert Pfund nichts erben würde.
Die Mutter zog mit ihr und den beiden Söhnen nach London, immer im Bewusstsein, etwas Besonderes zu sein: „Ich mag vielleicht arm sein, aber ich bin nicht gewöhnlich.“ Ich muß mich also alleine durchbeißen, dachte sie und presste die Lippen aufeinander. Aber was hatte sie schon an Fähigkeiten zu bieten, mit denen Geld zu verdienen war?
Barbara verdingte sich als Klatschreporterin für The Daily Express, ging viel aus und tat ihr Bestes, ihren Plan zu verwirklichen, „jeden in London kennen zu lernen.“ In dieser Zeit sammelte sie die Ideen für ihren ersten Roman „Jigsaw“, erschienen 1923. Die Meinung der Kritik war geteilt. Zwei Jahre später hatte ihr Theaterstück „Blood Money“ Premiere, ihr Stern begann unaufhaltsam zu steigen. Im selben Jahr wurde sie am englischen Königshof eingeführt. Irgend jemand hatte ihr einmal erzählt, daß Seine Königliche Hoheit von allen Damen erwartete, in seiner Gegenwart ein Diadem zu tragen. Tja, dachte sie mit einem Seufzer, diesbezüglich werde ich ihn heute abend wohl leider enttäuschen müssen.
Am 23. April 1927 heiratete Barbara Cartland Alexander „Satchie“ McCorquodale, den Sohn eines Papierfabrikanten. Er war der Fünfzigste in der langen Reihe von Verehrern, die ihr einen Heiratsantrag gemacht hatten. Der erste, ein libidinöser Major, wollte sich der jungen Frau bei einem Aufenthalt in Bath nähern, mit der Aufforderung, ihn in sein Zimmer zu begleiten, um ihr zu zeigen, „wie sein Revolver funktioniert“. Aber Barbara blieb standhaft bis zur Eheschließung. Die Liebe zu ihrem Gatten währte indes nicht lange. Nach der Geburt ihrer ersten Tochter Raine (die später einmal die Stiefmutter der noch späteren Prinzessin Diana werden sollte) im September 1929 zogen erneut die dunklen Wolken des Schicksals über Barbara Cartland auf. Zwar schenkte Satchie seiner Frau ein Haus in Mayfair und einen Rolls-Royce, aber er trank. Heimlich. Schlimmer noch: Barbara fand verräterische Briefe in seinem Schreibtisch. Ihr Mann hatte offenbar eine Affaire mit der Frau eines Majors.
Niemals gab sie zu, dass sie zu dieser Zeit schon ein Techtelmechtel mit dem Cousin ihres Gatten hatte: Hugh McCorquodale hatte einen Schlüssel zu ihrem Haus – wissen solche, die es wissen müssen –, begrüßte sie mit Küssen auf beide Wangen und ließ sich Drinks von ihr mixen. Was noch kein Beweis für gar nichts war, denn, so beschied sie, das sei unter Verwandten üblich. Der amouröse Verdacht bestätigte sich dennoch: Nach der Scheidung von ihrem untreuen Mann heiratete sie 1936 Hugh. Es folgten 27 glückliche Ehejahre, bis zu dessen Tod.
Lang war ihr Weg, und Cartland wurde wiederholt gebeutelt
Als ihr Sohn Ian im Oktober 1937 geboren wurde, hatte Barbara Cartland bereits siebzehn Novellen vollendet. Ihr zweiter Sohn Glen folgte im Dezember 1939. Ihr Leben hätte von da an wie im Märchen verlaufen können. Sie kam aus dem Staunen nicht heraus. Noch vor kurzer Zeit hatte sie nicht ein einziges Hemd besessen, und jetzt dieser Überfluss! Fassungslos schüttelte sie den Kopf. Roman folgte auf Roman, doch wieder einmal meinte es das Schicksal nicht gut mit ihr.
Es kam der 29. Mai 1940. Barbaras Bruder Anthony fiel, mit seinen Kameraden eingekesselt bei Dünkirchen, im Kampf gegen die Deutschen. Nur einen Tag später, am selben Ort, wurde auch ihr liebster Bruder Ronald Opfer des Zweiten Weltkriegs. Wohl deshalb hat sich eine tiefe Abneigung gegen die Deutschen im Herzen der Barbara Cartland festgesetzt: „Ich bin sehr ungehalten darüber, zu hören, dass Rolls-Royce – eine sehr englische Firma – aufgekauft worden ist. Und dann auch noch von den Deutschen . . .“ Diese Abneigung schenkte sie nach dem Tod ihrer Stiefenkelin Diana auch dem von ihr doch eigentlich hoch geschätzen englischen Königshof: „Vergesst die Monarchie!“, rief sie 1997 ob der Gefühlskälte der Queen angesichts des Verlustes ihrer einstigen Schwiegertochter. „Diese königliche Familie, das wollen wir nicht vergessen, ist eine deutsche Familie. Die Prinzessin von Wales war britisch, aber nicht die.“
Hatte sie da schon die große Ehre vergessen, die ihr die Queen noch 1991 hatte angedeihen lassen, als sie ihr den Titel „Dame“ für „Verdienste um die Literatur“ verlieh? Es ist wohl möglich, dass altersbedingte Erinnerungslücken das Urteil der späten Romanproduzentin getrübt haben. Behauptete sie doch in einem für die 1997er Wahlen verfassten Kommentar („Warum ich konservativ wähle“), Winston Churchill schon als kleinen Jungen gekannt zu haben. Der ist aber 1874 geboren worden, 25 Jahre vor Cartland. Trotz solchermaßen kleinerer Irrtümer blieb Dame Barbara Cartland bis ins hohe Alter eine gefragte Interviewpartnerin mit ständig gefülltem Terminkalender. Hätte sie nur einmal ein Stündchen Zeit für sich allein, um in aller Ruhe ihre erlesenen Gewänder zu begutachten!
Am vergangenen Sonntag verstarb Dame Barbara Cartland im Alter von 98 Jahren nach kurzer Krankheit im Schlaf, nach 723 Büchern mit einer geschätzten Gesamtauflage von über einer Milliarde.
MITARBEIT: BARBARA DRIBBUSCH
Die kursiv gesetzten Zitate entstammen den Cartland-Werken „Morgenrot des Herzens“, Heyne,1996, sowie „Kampf der Herzen“, Heyne, 1997
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen