Schnellschuss  gegen  Reform

Bei der Vorlage des Expertenberichts zum Bundeswehrumbau fordert Richard von Weizsäckereine „gründliche“ Diskussion. Kanzler Schröder spricht dagegen von „raschen“ Entscheidungen

BERLIN taz ■ Der Bericht der Wehrstrukturkommission war gerade übergeben, da sorgte er bereits für Kontroversen. Der Kommissionsvorsitzende, Altbundespräsident Richard von Weizsäcker, warnte gestern nach Überreichen des 100-seitigen Dokuments im Kanzleramt sowohl Gerhard Schröder wie Verteidigungsminister Rudolf Scharping davor, die Diskussion über die Reform abzuwürgen.

Die Politik dürfe sich „nicht mit den üblichen Schnellschüssen begnügen“, sagte Weizsäcker, es müsse wirklich gründlich diskutiert und nicht „nur bis zur Verabschiedung des nächsten Haushaltsgesetzes geplant“ werden. Doch eben dazu sind die beiden SPD-Politiker fest entschlossen. Sie wollen die Reform im Zuge der Haushaltsberatungen bis Ende Juni durchziehen. „Sehr rasch“ werde die Bundesregierung zu Beschlüssen kommen, kündigte der Kanzler an.

Hintergrund der Auseinandersetzung um den Umgang mit dem Bericht ist die Hoffnung der beiden Sozialdemokraten, möglichst schnell ihr eigenes, anspruchsloseres Konzept für eine Armeereform durchbringen zu können. 280.000 Soldaten wünscht Ressortchef Scharping sich, davon voraussichtlich 80.000 Wehrpflichtige – das sind fast dreimal so viel wie die 30.000 aus dem Bericht von Weizsäcker, der eine Armee von 240.000 Soldaten vorsieht. Eine allzu breite Diskussion gilt Scharping und Schröder dabei als hinderlich. Mitarbeiter des Verteidigungsministers machen aus der Differenz zu Weizsäcker an diesem Punkt keinen Hehl. Unterschiedliche Vorstellungen über die Länge einer Debatte, sagte einer, „die gibt es manch- mal in offenen Gesellschaften“. Unterstützung erhielt Weizsäcker gestern von der verteidigungspolitischen Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Angelika Beer. „Es kann ja nicht sein, dass dieser Bericht morgen zum Altpapier gehört“, sagte sie. Die Grünen hofften, dass sich der Koalitionspartner SPD „jetzt auf die Diskussion einlässt“. Die Grünen-Fraktionsspitze hatte den Bericht schon im Vorfeld begrüßt und sah sich gestern in ihrer Forderung einer deutlich verkleinerten Bundeswehr bestätigt. Zwar sei nicht von einer Abschaffung der Wehrpflicht die Rede, meinte Fraktionschef Rezzo Schlauch, wenn es aber nur 30.000 Wehrpflichtige geben sollte, „dann ist das eine faktische Abschaffung der Wehrpflicht“.

Obwohl die Reform des Zivildienstes nicht unter den Auftrag der Kommission fiel, forderte Weizsäcker, die Angebote für ein freiwilliges soziales Jahr der Nachfrage anzupassen. Dafür sollten Mittel, die bisher dem Zivildienst zugute kamen, umgelenkt werden. Dagegen sprach der niedersächsische Innenminister Heiner Bartling (SPD) sich in einem taz-Interview für ein soziales Pflichtjahr aus: „Es gibt sehr viele Zivis, die sagen: Ich habe eine Erfahrung gemacht, die hätte ich verpasst, wenn ich nicht gezwungen worden wäre.“

Der Expertenbericht enthält auch den Vorschlag, Kosten für Kriseneinsätze nicht länger aus dem Verteidigungshaushalt aufzubringen. Weizsäcker verwahrte sich allerdings gegen den Eindruck, die Kommission habe die Landesverteidigung als Kernauftrag der Bundeswehr zugunsten der Krisenbewältigung preisgegeben. PATRIK SCHWARZ

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