Die Ignoranz der Ich-AGs

Ein abenteuerlicher Bericht vom fünften deutschen Trendtag in Hamburg (Teil 1)

Selten hatte ich so viel Angst, mich zu blamieren, wie in dem Moment, als ich am vergangenen Donnerstag die Schwelle des Hamburger Curiohauses überschritt. Die wichtigsten Trendforscher des globalen Dorfes gaben sich ein Stelldichein in den ehrwürdigen Räumen des ehemaligen Gewerkschaftsdomizils. Wo, wenn nicht hier, schlägt der Puls der Zeit? Was gibt es Schlimmeres, als sich ausgerechnet hier als Trendmuffel zu outen?

Ein Trend für 980 DM

Meine schlimmste Angst, sofort als Schnarchsack verlacht zu werden, wurde sogleich zerstreut: Der gute alte Anzug ist noch immer nicht tot, erlaubt scheint sogar die Kombination mit Turnschuhen und Strubbelkopf à la Rod Stewart oder – für die Generation DAX: Campino von den Toten Hosen. Den klassischen Fassonschnitt trugen die Damen: So viel zu den sichtbaren Trends. Eigentlich ging es ja um unsichtbare Trends, wie der Titel „Ökonomie des Unsichtbaren“ des Vortrags einer italienischen Top-Designerin, die das Design abschaffen will, versprach. Ob da nicht manchen bravem Trendfolger die 980 DM plus Mehrwertsteuer für einen Tag hart am Trend doch ein wenig geschmerzt haben? Schließlich will man doch was sehen für sein Geld! Doch niemand murrte. Wer trendy ist, der macht einen Tausender in zehn Sekunden an der Internet-Börse klar, und wer das nicht schafft, der darf es sich nicht anmerken lassen. Also lauschten alle devot den Verkündern brandneuer Erkenntnisse, zum Beispiel dem Trendbürochef und Ökonomieprofessor Peter Wippermann und Charles Leadbeater, dem eigens aus London eingeflogenen New Labour Ideologen. Heute werde mehr Geld mit Wissen und Ideen verdient als mit Produkten, Microsoft hätte General Motors längst überholt, so der Blair-Berater. Und Wippermann definierte die Arbeit neu: „Arbeiten heißt heute Infomationen verarbeiten“.

Die Herren Trendforscher ernteten für diese forschen Formeln verständiges Nicken, niemand im Auditorium schien diese Informationen dergestalt zu verarbeiten, dass er sie als alte Hüte mit neuem Band entlarvte. Kein Wunder, Skepsis ist out, Kritik noch outer. En vogue ist dagegen Leadbeaters schicke luhmanneske Formel von der produktiven Ignoranz, die sagt: Wer wenigstens ein paar Krümel von der reich gedeckten Tafel der globalen Superklasse aufpicken will, der muss Ballast wie moralische Bedenken oder Solidarität abwerfen. Wer vergisst, ist nicht nur glücklich wie einst bei Schiller, sondern auch erfolgreich.

Vergessen sollte zum Beispiel die neue Sozialdemokratie die Sozialpolitik. Denn wer vergisst, dass es solchen Unfug wie ein soziales Netz gibt, kann getrost das viele Geld, das an die Alten und Schwachen verschwendet wird, sinnvoller ausgeben, Daten-Autobahnen und Super-Adventure-Parks bauen und die lästigen Steuern abschaffen. Die Ewiggestrigen aber werden vom Fortschritt ausgeschlossen. Die Alternativen heißen nicht mehr Auflehnung und Anpassung, sondern Anschluss und Ausschluss (Wippermann). Die Angeschlossenen können dann mit dem vielen Geld durch die Welt jetten und surfen und konsumieren, dass es eine Art hat.

Der Trend zur Tüte

Den Anschluss als Opportunismus der neuen Eliten zu kritisieren, wäre gegen den Trend, die Trendchecker sehen sich eher als Begrüßungskommitees des Trends, der alles andere als ein Genosse ist. Freudig wurden so die neuesten Trends willkommen geheißen, die Wandlung des Internets von der „Infotüte“ zur „Entertainmenttüte“, die Abschaffung des Fix-Price-Systems als Irrtum der Geschichte und vor allem der Toptrend zur Ich-AG. Die Frisch AG aber interessierte sich jetzt für die kulinarischen Trends: Das Buffet bot mehr als eine McDonald’s-Tüte, das Sorbet gab mir ein Gefühl von Angeschlossensein. Deshalb: erst mal Pause. JOACHIM FRISCH

(Fortsetzung morgen)