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Eingeschweißte Blaustrümpfe

Wenn das ewig Weibliche Harakiri begeht: Die türkische Künstlerin Azade Köker stellt aus im Constanze Pressehaus

Links und rechts breiten sich Hotels aus. Ein paar Meter weiter stehen Botschaften im Rohbau und vor der Tür fließt der Verkehr dreispurig vorbei. Im steinernen „Bildhauer-Foyer“ des Constanze Pressehauses stellt Azade Köker aus. Nun baumeln kopf- und fußlose Torsi transparenter Frauenkörper von der hohen Decke. Mal wie ein Knallbonbon in Folie verpackt, mal wie in einem Spiegelkabinett zwischen Folienwänden wackelnd.

Das kann man demnächst auch in der Verfilmung von „American Psycho“ sehen: Ein durchgeknallter Psychopath gabelt sich käufliche Mädels von der Straße und bearbeitet sie später mit der Kettensäge. Die Opfer hängen schließlich ordentlich verschweißt auf einem Bügel im Kleiderschrank. Die anonymen Blocks, in denen der Yuppie-Killer sein perverses Hobby treibt, sehen auch nicht viel anders aus als draußen vor der Tür. Und 500 Meter entfernt vorm Café Einstein beginnt der Straßenstrich.

Doch was sich in „American Psycho“ als krankhafte Fantasie entpuppt, bleibt hier sichtbare Realität. Zur Mittagsstunde haben die Prostituierten Rushhour. Und auch nach kurzem Zusammenkneifen der Augen sind diese leblosen, durchsichtigen Wesen in der Eingangshalle des Pressehauses noch immer da. Im Gästebuch, das beim Pförtner liegt, hat eine Frau aus Lübeck notiert: „Mutig und provokant, in diesen Räumen geheime Weiblichkeit in die tägliche Arbeitswelt zu implementieren!“

Implementieren, was für ein Wort! Das fängt an im Flur der vierten Etage: Zombiehafte Füße stecken in ausgeblichenen Pantoffeln, gelbe oder klarsichtige Folienkleider sehen aus, als hätten einmal magersüchtige Wassernixen mit ewig langer Flosse drin gesteckt. Dann das „Top Model“ im zweiten Stock, dessen fett angemalten Lippen und Augen unter einer Folie zur Totenmaske erstarrt sind. Und schließlich die im Foliensack konservierten drei Grazien – nichts als Ergänzungen um die Geheimnisse des Weiblichen am Arbeitsplatz?

Wenn die türkische Künstlerin Azade Köker, die hier geschweißt hat, ihren an klassischen Motiven entwickelten Plastepuppen überhaupt einen Titel gibt, dann heißen sie „Stiefel“, „Kleider“ oder wie im Falle der drei Grazien „Gleichförmigkeit“.

Manchmal hängen an den Wänden Studien zu den Folienobjekten, die vom „intimen Raum“ sprechen oder von „unsichtbaren Grenzen“. Das Objekt dazu zeigt den Unterleib einer Frau samt Beinen mit knallblauen Strümpfen. Blaustrümpfe, das waren im 19. Jahrhundert vermeintliche Emanzen vom Schlage Alice Schwarzers. Doch was vom Aufbruch der Frauen in eine gleichberechtigte Welt in den Bildern der 51-jährigen Künstlerin und Professorin aus Halle übrig geblieben ist, sind kopflose Wesen, denen die Luft ausgegangen ist. Zu schwach zum Stehen. Wie Marionetten an Nylonfäden aufgeknüpft.

Echter Galgenhumor an der Geschlechterfront also. Wo das Bild von der Frau in Medien und Kunst nach wie vor von Topmodels in digital bearbeiteten Luxuskörpern bestimmt wird, lässt Köker das ewig Weibliche Harakiri begehen. Sie lässt die Hüllen von innen fallen. Und siehe: Der schöne Schein zerknittert in hässliche Falten.

Der Satz, den einem dann der Pförtner noch mit auf den Weg durch diese morbide Körperwelten gibt – „Immer schön den Fahrstuhl nehmen. Wenn Sie zu Fuß laufen, kommen Sie hier nicht mehr raus!“ –, gibt schlussendlich auch zu denken.

PETRA WELZEL

Bildhauer-Foyer im Constanze Pressehaus, Kurfürstenstr. 72–74, bis 30. Juni, Mo–Fr, 8–18 Uhr

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