piwik no script img

wir lassen lesenProminente Pfeifenträger erzählen ihre Abenteuer

Schiris sind keine Monster

Schieber, Pfeifenheinis, schwarze Säue – Fußballschiedsrichter gelangen vor allem in Schlagzeilen und Fanpoesie, wenn sie jemanden verpfiffen haben und „ran“-Rhabarberer nach dem dritten Ansehen der Super-Slowmotion zur Steinigung aufrüsten. Im Kreis der aktiven Balltreter gelten sie oftmals als verhinderte Fußballer, die sich im zweiten Leben als ungeliebte Referees an ihnen rächen, weil die Trainerzunft sie seit der C-Jugend nicht mehr in ihren Aufstellungen berücksichtigt.

Wie könnte aber eine Liebe zu jenen Rasensheriffs aussehen, die mit viel Hingabe in sado-masochistischer Manier „Befriedigung im Abstrafen“ (Rainer Moritz) finden und doch so unvermeidlich für das Spiel sind? Seine „Liebe zu den Schiedsrichtern“ hat Gotthard Dikty entdeckt, nachdem er aus gesundheitlichen Gründen Abschied vom aktiven Fußballsport und der Pfeiferei nehmen musste. „Schiri: Telefon!“ heißt sein Buch, und laut DFB-Präsident Egidius Braun soll es dazu beitragen, dass „viele Fußballinteressierte ihr bisheriges Bild“ vom Schwarzkittel korrigieren. Für diese ehrenvolle Aufgabe konnte Dikty eine Reihe namhafter Pfeifenträger gewinnen, die in Interviews ihre Erlebnisse schildern und in eigenen Beiträgen ihr Freud und Leid im Spielleitermilieu nachzeichnen.

Von Flaschenwürfen, Ball vor die Birne, einer Rolle rückwärts mit Zahnverlust, Morddrohungen bis zur Sauforgie in Dnjepropetrowsk ist alles dabei. Georg Dardenne pfiff z. B. einst ein Spiel auf den Färöer-Inseln. Dieses Unternehmen geriet regelrecht zum Inselhopping, weil sich Flughafen, Hotel und Stadion jeweils auf drei verschiedenen Inseln befanden. Auch der Verschleiß des Spielgeräts war groß, „weil bei starken Schüssen der Ball in den Atlantik flog und dort zum Spielball der Wellen wurde“.

Zwar behalten die Referees den Besenstiel im steif gemachten Kreuz und verweilen oftmals in preußischer Spielberichtssprache, sind aber bemüht, „den Schiedsrichter als Mensch herauszustellen“. Dabei erfahren die Lesenden, dass der Lauterer Markus Merk entgegen der Rüttgers-Kampagne „Kinder statt Inder“ eher „Zähne für Inder“ fordert und deshalb auch schon mal aufopfernd einen Urlaub hergibt, um bis zu 2.000 schmerzverzerrte Münder von ihrem Zahnleiden zu befreien. Sehr rühmlich, trotzdem sollte niemand jemals auf die Idee kommen, mit einer Hörbuchfassung „Schiri: Telefon“, gelesen vom stets stimmbruchfiepsenden Zahnarzt Merk, die Fachwelt zu martern.

Die steigenden Spielergehälter und der gnadenlose Kommerz werden von den Schiedsrichtern kritisiert, besonders ärgert sie aber, dass ihre Arbeit vor allem seit Ende der achtziger Jahre durch viele verdeckte Fouls und Schwalben erschwert wird. „Die Rücksichtslosigkeit hat Hochkonjunktur“, schreibt Manfred Amerell. Eugen Strigel wiederum, mittlerweile Vorsitzender des DFB-Schiedsrichter-Lehrstabs, philosophiert über den Videobeweis: „Wer die absolute Gerechtigkeit will, kann nicht Fußball spielen.“

Strigel verantwortet auch die Schiri-Rhetorikkurse, die seinen Kollegen bei der zunehmenden Konfrontation mit Live-Interviews helfen sollen. Was dabei herauskommt, zeigt wiederum Amerell: „Diesen Schwachsinn mit dem Fingerspitzengefühl kann ich nicht mehr hören. Fingerspitzengefühl brauche ich nur bei meiner Frau.“

Dem rundlichen Wolf-Dieter Ahlenfelder sagte der DFB einen zu tiefen Blick in die Flasche nach und versagte ihm die Teilnahme an Fifa-Turnieren, obwohl Fachleute in ihm einen der Besten sahen. Als er die Pfeife an den berühmten Nagel hängte, zeigte sich „der bunte Vogel“ nicht um eine Antwort verlegen: „Diese Erbsenzähler vom DFB haben mir das schönste Hobby vermiest.“

Im Ladenregal lassen die Geschichten von Schiedsrichtern den ersten Blick vielleicht schnell weiterschweifen. Gotthard Dikty hat mit „Schiri: Telefon“ aber eine horizonterweiternde Sichtweise von Fußballerfahrungen offengelegt, abseits der prominentenfixierten TV-Kameras mit ihren Nachweisen von Hitzfelds Kragenschmalz und dem Kleiderschrank von Lothar Matthäus.

GERD DEMBOWSKI

Gotthard Dikty: „Schiri: Telefon!“, Academia Verlag 1999, 330 Seiten, 34,50 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen