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Meyer, der Lehrer

von JENS KÖNIG

Die Frage hat Hans Meyer gerade noch gefehlt. „Sie hatten heute großes Glück mit der Einwechslung von Michael Klinkert. Er schoss das Siegtor. Wieso haben Sie gerade ihn eingewechselt?“

„Ich verrate Ihnen ein Geheimnis“, antwortet Meyer. „Ich war es gar nicht, der Klinkert eingewechselt hat. Das entscheidet bei uns der Busfahrer.“

Die Journalisten grölen. Meyer verzieht keine Miene. Er weiß selbst, dass sein Gag gut war.

Schon segelt die nächste Nullachtfünfzehnfrage durch den Presseraum von Borussia Mönchengladbach. „Energie Cottbus hat vor dem letzten Saisonspiel einen Punkt Vorsprung vor Gladbach. Was wird der Cottbusser Trainer Eduard Geyer seiner Mannschaft jetzt sagen?“

„Oh“, antwortet Meyer, „eine hoch interessante Frage.“ Kleines Lächeln. „Eduard Geyer wird vermutlich sagen: Wir müssen gewinnen.“

Meyer als Comedy-Star

So geht das jetzt schon seit Monaten auf dem Gladbacher Bökelberg. Es gibt hier keine Pressekonferenzen mehr, sondern nur noch Late-Night-Shows. Säße man mit verbundenen Augen im Presseraum, müsste man annehmen, Borussia Mönchengladbach hätte nicht Hans Meyer, sondern Harald Schmidt zum neuen Trainer gemacht. Nicht dass eine solche Entscheidung die Spaßgesellschaft von heute überraschen würde. Aber der Mann da vorne auf dem Podium trägt keine Brille und keinen Anzug von Boss. Er ist ein großer, bulliger Typ in schwarzen Trainingsklamotten.

Nicht mehr alle Fußballreporter hätten ihren Spaß an Hans Meyer, erzählt der Pressesprecher der Borussia. Einige würden sich schon nicht mehr trauen, Fragen zu stellen. Man sehe ihnen regelrecht an, dass ihnen nichts einfällt, was dem Trainer genügen könnte. Nach der Pressekonferenz beschwert sich einer von ihnen bei Meyer. Er fühlt sich von ihm schlecht behandelt. „Wissen Sie“, antwortet der, „ich hatte Husten und konnte deswegen zwei Wochen meinen ehelichen Pflichten nicht nachkommen. Das musste einfach raus.“

Es ist nicht etwa so, dass Hans Meyer Journalisten nicht leiden kann. Er mag nur keine schlichten Fragen, die auf schlichte Antworten aus sind. Er will nicht unter seinen Möglichkeiten bleiben. Er verlangt von den Journalisten nichts anderes als von seinen Spielern: Klasse und ein bestimmtes Niveau. Meyer ist schließlich für eine große Aufgabe zu seinem neuen Verein geholt worden. Er soll einen Mythos retten, der im Nichts zu verschwinden droht.

Früher oder später kommt man bei Borussia Mönchengladbach immer auf diesen Mythos zu sprechen. Auf die Vergangenheit. Auf die 70er Jahre, als Günter Netzers lange Haare auf dem Bökelberg wehten und mit ihnen der Geist der Utopie.

Meyer, der Kommunist

Vielleicht ist Hans Meyer ja genau der Richtige für diesen Job. Er weiß schließlich aus eigener Erfahrung, welche seltsame Faszination von der Vergangenheit ausgeht und wie man sie hinter sich lässt. Meyer kommt aus der DDR. Er war einer der besten Fußballtrainer des Landes.

Gerade diese Konstellation macht andererseits seine Aufgabe zu einer äußerst heiklen Angelegenheit. Schon an Meyers erstem Tag in Mönchengladbach führte sie zu Missverständnissen. Als ihm einige Reporter mit ihren Fragen zu dämlich kamen und wissen wollten, wer er überhaupt sei, gab Meyer eine erste Kostprobe seines Könnens. „Ich habe bis 1990 nicht für Geld, sondern für den Sozialismus gearbeitet“, erzählte er. „Ich bin von Hause aus Kommunist, und Kommunisten sind immer arm dran. Da muss man zuschlagen, wenn ein gutes Angebot auf den Tisch kommt.“ Am nächsten Tag stand in den Zeitungen: „Hans Meyer: Ich bin ein Kommunist“.

Ausgerechnet so einer sollte den westdeutschen Mythos Borussia Mönchengladbach wiederbeleben? Da hätte man ja gleich Honecker zum Kanzler wählen können.

Heute lachen sie in Gladbach darüber. Sie haben gelernt, dass es auch in einer tragischen Gesellschaft wie dem Osten ironische Typen gibt – und gute Fußballtrainer dazu. Als Borussia Mönchengladbach Hans Meyer verpflichtete, war der Verein am Tiefpunkt seiner Geschichte: Er spielte in der zweiten Liga, hatte nur sieben Punkte und stand ganz hinten in der Tabelle. Heute, neun Monate später, steht die Mannschaft auf Platz vier. Zuletzt hat sie 20 Spiele hintereinander nicht verloren, und wenn heute, am letzten Spieltag, gegen Nürnberg alles gut läuft, könnte sie sogar wieder in die erste Liga aufsteigen. Ganz Mönchengladbach jubelt bereits wie in alten Zeiten. „Hans Meyer ist ein Fußball-Gott“ rufen die ersten Fans.

Der Fußball-Gott steht auf der Spielwiese hinterm Stadion und beobachtet das Training seiner Spieler. Ihm entgeht nicht die kleinste Bewegung. Er bleibt zehn Minuten völlig regungslos. Plötzlich schickt er einen Schrei quer über den Platz. „Mathias“, brüllt Meyer, „hast du ’ne Macke? Du bist nicht im Urlaub. Das hier ist Training. Noch so ’n Ding, und du kannst zu den Amateuren gehen.“ Fünf Minuten später windet sich ein Spieler am Boden. „Danke für den Einsatz“, sagt Meyer trocken. „Ich schicke dir ein paar Blumen nach Hause.“

Mönchengladbach hat am Tag zuvor 6:1 gegen Mainz gewonnen, und heute trainieren nur die Ersatzspieler. Aber Meyer duldet keinen Schlendrian, nicht eine Minute lang. Bei ihm muss jedes Detail stimmen, auch im Training, auch bei den Ersatzspielern. Selbst die Stellung des Fußes bei der Ballannahme ist wichtig. Der Trainer erklärt es seinen Spieler wieder und wieder. Er weiss, dass er sie damit nervt. Aber er weiß auch, dass sie von Woche zu Woche besser verstehen, was er von ihnen will.

Die fast durchweg jungen Spieler fühlen sich alle als Stars. Sie verdienen viel Geld, werden von den Teenies umschwärmt und von den Medien hofiert. Aber wenn ihr Trainer ihnen erklärt, dass Popularität kein Verdienst ist und dass sich kein einziger Journalist für sie interessieren würde, wenn sie nicht Fußballer, sondern Synchronschwimmer wären, dann werden sie still. Vielleicht, weil Meyer ein Kerl wie ein Baum ist, fast 1,90 Meter, mit Händen so groß wie Klodeckel und stechenden blauen Augen, die einen an die Wand nageln können. So einem Typen widerspricht man nicht gern. Vielleicht hören die Spieler aber auch zu, weil sie merken, dass sie von ihrem Trainer mehr lernen können als nur Fußballspielen.

Meyer predigt Demut

Meyer findet, dass den jungen Fußball-Profis von heute so einiges fehlt: der Wille zur Leistung, die Bereitschaft, im Privatleben Abstriche zu machen, die Demut vor ihrem Sport, in der die Mannschaft alles, der Einzelne aber nichts ist. „Ich kann das Gejammer nicht mehr hören“, sagt er, „Die haben alle einen Traumjob. Wer das nicht glaubt, soll auf sein Konto gucken.“

Manche nennen Meyer einen „General“, andere finden er sei ein „harter Hund“. „Das ist doch alles blödes Zeug“, sagt er. „Ich versuche nur, meine Idee von Fußball konsequent umzusetzen. Und dabei gehe ich ungern Kompromisse ein.“

Das hat er nicht mehr nötig, findet er. Hans Meyer ist 57 Jahre alt und seit dreißig Jahren Trainer. Er war in der DDR dreimal Pokalsieger und dreimal Vizemeister, er hat mittelmäßige Mannschaften wie Carl-Zeiss Jena und Rot-Weiß Erfurt in den Europapokal geführt, mit Jena stand er 1981 sogar im Endspiel des Europapokals. Vor drei Jahren dann wurde er mit dem Außenseiter FC Twente Enschede sensationell Dritter in der holländischen Meisterschaft und spielte erneut im Uefa-Pokal.

Wenn man so lange im Geschäft ist wie ich – mit diesen Worten beginnt Meyer jeden dritten Satz. Neulich in Cottbus fragte ihn ein Journalist, ob ihm bei den 17.000 Zuschauern hier, in diesem tollen Stadion nicht ein kalter Schauer über den Rücken laufe. „Wenn man so lange im Geschäft ist wie ich“, hat Meyer geantwortet, „ist man nicht mehr so leicht zu beeindrucken.“ Und weil der Reporter traurig guckte, schickte Meyer noch drei Sätze hinterher. „Seien Sie mir nicht böse“, sagte er, „aber ich habe vor zwanzig Jahren bei Benfica Lissabon vor 70.000 Zuschauern gespielt, beim AS Rom vor 78.000, beim FC Valencia vor 55.000. Da ist mir ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen. Aber nicht hier in Cottbus.“

Ist Meyer kein Ossi?

Von Meyers Erfahrungen kann selbst ein Verein wie Borussia Mönchengladbach profitieren, meint Christian Hochstätter. Hochstätter spielte 18 Jahre in Gladbach, erlebte neun Trainer, war beim Pokalsieg 1995 dabei und beim Abstieg 1999. Seit knapp einem Jahr ist er Sportkoordinator des Klubs. Als er Hans Meyer am Anfang beim Training zuschaute, erzählt Hochstätter, habe er seinen Augen nicht getraut: diese Kompetenz, diese Akribie, diese Leidenschaft. „Der letzte Trainer, der hier so gearbeitet hat“, sagt Hochstätter, „war Jupp Heynckes.“ Das ist jetzt fast 15 Jahre her – und Heynckes heute ein weltweit gefragter Trainer.

Meyer kümmerte sich in Mönchengladbach von Anfang an um fast alles. Er gab der Mannschaft ein neues Gesicht. Er besorgte ihnen einen neuen Trainingsplatz. Er kümmerte sich um die richtige Ernährung. Er baute ein professionelles System der Spielerbeobachtung auf. Er kam jeden Morgen als erster und ging jeden Abend als letzter. Das ist heute immer noch so.

Christian Hochstätter hat dafür eine etwas spezielle Erklärung. „Der Meyer“, sagt er, „ist gar kein richtiger Ossi.“

Da täuscht sich der Manager. Aber Hans Meyer würde der Satz trotzdem gefallen. Weil er ihn darin bestätigt, sich nichts mehr beweisen zu müssen, nur weil er aus dem Osten kommt. Der Satz belegt, dass Meyer es verwunden hat, nach der Wende von keinem einzigen Westverein ein Angebot bekommen zu haben. Der Satz macht seine Existenzangst vergessen, die ihn damals für einige Monate plagte.

Nachdem Meyer dreieinhalb Jahre erfolgreich bei Twente Enschede in Holland gearbeitet hat, empfindet er keine Genugtuung mehr darüber, einen renommierten westdeutschen Verein zu trainieren. Er arbeitet zwar gern bei Borussia Mönchengladbach, aber seine Ehrfurcht vor dem Klub hält sich in Grenzen. „Gladbach ist für mich kein Aufstieg“, sagt Meyer. Es klingt eine Spur zu kühl. Aber es soll schließlich auch beweisen, dass er sich heute unabhängig fühlt – von den Medien, vom Geld, vom Verein, vom Mythos. Vielleicht sogar vom Fußball.

„Ich muss hier nicht mehr den Affen machen“, sagt Meyer, „für niemanden.“

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