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Alles war kahl

Im Südwesten der Dominikanischen Republik erarbeitet ein Projekt der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) mit der dortigen Landbevölkerung Möglichkeiten nachhaltiger Holzwirtschaft. Der Erfolg verändert auch die sozialen Strukturen

von DANIELA HEBLIK

Das Dorado deutscher All-inclusive-Touristen hat seinen tristen Hinterhof. Im Südwesten liegt der Anteil der unterhalb der Armutsgrenze lebenden Bevölkerung sogar um ein Fünftel über dem Landesdurchschnitt von 59 Prozent. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen und Erwachsenen kann weder lesen noch schreiben.

Einer von ihnen ist der Köhler Avel. Seit dem frühen Morgen ist er mit seinem Sohn André in den Bergen, um Holzkohle ins Dorf zu schaffen. Jetzt haben drei seiner Töchter das Frühstück vorbeigebracht. Mit schwarzen Händen essen die beiden bedächtig Reis und Bohnen. Im zerfurchten Gesicht des Vaters hat sich der Kohlenstaub eingegraben und auch die Spuren seiner mühevollen Arbeit. Das Holz muss von weit her zusammengetragen, klein gehackt und aufgeschichtet werden. Dann dichtet Avel den Meiler mit einer dicken Schicht aus Zweigen und Erde ab. Vier, fünf Tage muss das Holz langsam darin schwelen. Währenddessen wird der Meiler immer wieder kontrolliert, damit keine Luft zutritt und das Holz verbrennt. Mit bloßen Händen schaufeln Avel und André die noch warme Kohle in Säcke und verschließen diese rundherum geschickt mit ein paar Zweigen. Dann wird Sack für Sack mit dem Esel ins Dorfzentrum transportiert, wo ein Laster der Genossenschaft Feprobosur sie abholt.

Knapp einen Monat hat Avel gebraucht, um vierzig Säcke Holzkohle herzustellen. Von dem Erlös kann er seine elfköpfige Familie ernähren. Das war nicht immer so. Avel erinnert sich: „Früher habe ich zweieinhalb Pesos für einen Sack Holzkohle bekommen, denn ich musste ihn an einen Zwischenhändler verkaufen. Der hat ihn dann für ein Vielfaches in der Hauptstadt weiterverkauft und den ganzen Gewinn eingestrichen. Uns blieb nichts.“

Heute sind die Köhler organisiert. Neun Dörfer haben sich 1992 zu einem Dachverband zusammengeschlossen, der Holzkohle, Zaunpfosten, Bahnschwellen und einfaches Bauholz direkt vermarktet. Mittlerweile sind achtzig Bauerngruppen aus mehr als vierzig Gemeinden Mitglied in der Federación de Productores y Productoras del Bosque Seco del Suroeste (Feprobosur). Sie hat eine Monopolstellung im Südwesten errungen. 1997 gingen Holzprodukte im Wert von über einer Million US-Dollar über die Genossenschaft direkt an die Endverbraucher oder Großhändler. Durch die Umgehung des Zwischenhandels bleibt das Geld bei den Campesinos. Davon müssen sie den Transport und die Abgabe an Feprobosur bezahlen. Denn die Bauernorganisation ist finanziell von staatlicher und internationaler Hilfe unabhängig. Der Köhler selbst bekommt am Ende etwa sechzig Pesos, umgerechnet acht Mark, pro Sack.

Die Einkommenssteigerung kommt nicht nur den Familien, sondern auch dem Wald zugute. Jahrzehntelange Übernutzung hatte ihn in weiten Teilen zu Dornbuschsavannen und Ödland degenerieren lassen. Nach Berechnungen der Gesellschaft für Angewandte Fernerkundung lag der Rückgang der dominikanischen Trockenwälder mit 0,5 Prozent pro Jahr im internationalen Vergleich weit über den Verlusten anderer Tropenländer.

Wir haben den gesamten Wald abgeschlagen, um unsere Familien zu ernähren“, erzählt Avel, „und mussten immer weiter in die Berge, um neue Holzkohle herzustellen. Die ganzen Hügel waren vor wenigen Jahren noch kahl.“ Er zeigt mit dem Arm einmal rund ums Dorf. „Heute wissen wir es besser und nutzen nur noch das abgestorbene Holz. Heute ist unser Dorf wieder grün.“

Die Einsicht kommt nicht von ungefähr.Vor dem Projekt war die Tätigkeit der Waldbauern illegal, denn das dominikanische Forstgesetz verbietet den Einschlag lebenden Holzes. Keine der Familien besaß einen Landtitel oder eine Holzeinschlagskonzession, die von der Vorlage eines geregelten Nutzungsplans abhängig ist. Verhaftung und Konfiszierung der Waren durch das Militär bedrohten Tag für Tag die Existenz der Campesinos und förderten kurzfristige Überlebensstrategien.

„Wir haben uns konsequent auf die Seite der Bauern gestellt“, betont Peter Asmussen, der deutsche Ansprechpartner des von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) durchgeführten Projekts. „Dadurch konnten wir erreichen, dass die dominikanische Landreformbehörde IAD Landtitel für die forstliche Nutzung vergibt. Mehr als 170.000 Hektar Trockenwald gingen so bis heute in den Besitz der Campesino-Gruppen über.“ Diese haben gemeinsam mit den Technikern ein leicht verständliches Bewirtschaftungssystem entwickelt, das eine Regeneration des ausgebeuteten Waldes erlaubt. Die Menge des nutzbaren Holzes hat sich innerhalb von fünf Jahren verdoppelt. Heute kann nicht nur Totholz, sondern auch das erste Holz aus Durchforstungen genutzt werden.

Die Natur hat sich im Südwesten der Dominikanischen Republik erholt. Die Menschen schöpfen wieder Hoffnung. Sie entwickeln selbstständig Ideen, wie sie das Leben in ihren Dörfer weiter verbessern können. Dies gilt besonders für die Frauen, die im dominikanischen Gesellschaftssystem, das durch den Machismo geprägt ist, doppelt benachteiligt sind.

Santica betreibt einen kleinen Colmado, ein Tante-Emma-Laden, in Hatillo Arriba, einem staubigen Dorf an der Straße zur Hauptstadt. Er gehört der Frauengruppe Mujeres la Mata Verde, die ihn vor zwei Jahren über einen Rotationsfond von Feprobosur finanziert hat. „Früher mussten wir weit laufen, wenn etwas im Haushalt gefehlt hat“, erzählt sie, „deshalb wollten wir einen eigenen Laden bei uns im Dorf. Hier kann man auf Pump einkaufen und bezahlt dann, wenn die Männer das Geld aus dem Verkauf von Holz und Holzkohle bekommen haben. Der Colmado ist nichts weiter als eine einfache Bretterbude, zwei auf zwei Meter. Doch der neue Gefrierschrank mit Erfrischungsgetränken und Bier zeigt, dass ein bescheidener Wohlstand in die Gemeinde eingezogen ist. Die Wasserleitungen zu jedem Hof und erste Gemüsegärten sind weitere Anzeichen.

Die Bewohner sind in zwei Gruppen organisiert. Santica ist Vorsitzende der 22-köpfigen Frauengruppe und mit der Verwaltung des Ladens beauftragt, eine ehrenamtliche Aufgabe, die sie mit viel Selbstbewusstsein meistert. „Früher war ich sehr schüchtern“, erzählt Santica, „habe kaum den Mund aufgemacht und mein Dorf nie verlassen.“ Gestern war sie allein in der Provinzhauptstadt Baní, um die Vorräte aufzufrischen. „Ich habe Bohnen für 8,5 Pesos das Pfund eingekauft, die werde ich im Laden für 12 Pesos weiterverkaufen“, schildert die 47-jährige Analphabetin. „Denn ich hatte Kosten für den Transport, und der Laden muss Gewinn abwerfen, damit wir im Frühjahr mit der Rückzahlung des Kredits beginnen können.“ Sie erklärt, wie das System funktioniert: „Alle drei Monate müssen wir eine Rate an die Genossenschaft bezahlen. Von diesem Geld wird ein anderer Colmado finanziert. Wenn der Laden abbezahlt ist, gehen drei Prozent des Erlöses weiter an Feprobosur und zwei Prozent an unsere Frauengruppe, damit wir eigene Projekte aufbauen können.“ Santicas größter Wunsch, so sagt sie, ist eine kleine Schule, an der die Erwachsenen abends lesen und schreiben lernen können.

Der Erfolg hat den Frauen persönlichen Spielraum verschafft und die klassischen Rollen aufgeweicht. „Die Männer sehen, dass wir Frauen tatsächlich etwas erreichen können“, sagt Santica. „Deshalb bringen sie uns jetzt mehr Respekt entgegen und hören auf das, was wir sagen. Früher wussten wir nichts und haben in der Öffentlichkeit geschwiegen. Heute haben wir unsere eigenen Projekte und arbeiten bei Feprobosur mit.“ Zwanzig Frauengruppen sind in der Genossenschaft vertreten, vierzig weitere sind gemischte Gruppen. Ein eigenes Komitee kümmert sich um die Anliegen der Frauen. „Gemeinsam können wir etwas erreichen“, sagt Santica.

Tatsächlich waren die Errungenschaften des Projekts erst durch die engagierte Arbeit der Campesino-Gruppen möglich. Sie zu stärken und zu motivieren war daher auch ein Hauptanliegen des Projekts. Keine leichte Aufgabe. Dreißig Jahre Diktatur, gefolgt von autoritären und paternalistischen Regierungen, haben in der Dominikanischen Republik die Entwicklung von Basisorganisationen nicht gerade gefördert. „Wir haben uns an den Aktivitäten der Campesinos beteiligt“, sagt Peter Asmussen, „und nicht umgekehrt“. Der Erfolg gibt ihm Recht: Jetzt stellt die GTZ das innovative Unternehmen als eines von 768 weltweiten Projekten auf der Expo in Hannover im „Global House“ vor.

DANIELA HEBLIK, 36, lebt als Biolgin und freie Journalistin in Hüttenberg bei Gießen

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