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Lüch op und fleu herut

Boßel-Europameisterschaften am kommenden Wochenende in Meldorf: Wer den Eierbecher vergisst, ist chancenlos  ■ Von Peter Ahrens

Lila Ballonseide und Schnaps. Mehr braucht man eigentlich nicht. Außer der Kugel natürlich, 800 Gramm schwer. Das sind die 800 Gramm, die Friesen von normalen Menschen unterscheiden. Diese 800 Gramm, der ballonseidene Trainingsanzug und der Schnaps, einzuführen über einen am Hals baumelnden Eierbecher – das sind die Ingredienzen, die den Boßler ausmachen. Hier geht es um Sport: Schließlich sind das Europameis-terschaften, was sich am kommenden Wochenende in und um Meldorf in Dithmarschen abspielt.

Wenn es um das Würdigen der sportlichen Ambitionen geht, dann werden die Köpfe der Funktionäre vom Verband Schleswig-Holsteinischer Boßler VSHB oder vom Friesischen Klootschießerverband FKV noch röter: „Das ist echter Leistungssport“ tönt es dann und wie oft die Jungs und Frauen doch in der Woche trainieren müssen.

Boßeln, fremde Welt: Zwei Teams, die Kugel wird mit merkwürdigen Körperverwringungen so weit wie möglich gerollt. Näheres erschließt sich nicht. Ganz wichtig jedenfalls: Der Apfelpflücker. Die Kugel rollt, weil rund, nie so, wie sie soll und landet daher meistens irgendwo im Graben (vulgo Schloot). Um sie dort wieder herauszufischen, braucht es den Pflü-cker. Außerdem ist es immer eine gute Gelegenheit, in der Zwischenzeit den Eierbecher in Aktion zu bringen. Je länger der Wettkampf dauert, desto häufiger müssen Pflücker und Becher ran. Das bedingt sich.

Am kommenden Wochenende kommt es zwischen Nord- und Ostfriesen wieder zum Showdown. Weil das Ganze aber Europameisterschaft heißt, nehmen auch Holländer, Iren und sogar Italiener teil, Irrläufer des Boccia-Spieles. Die Stirnadern der Funktionäre nehmen noch einmal an Fingerstärke zu, wenn sie auf die Internationalität dieses Sportes hinweisen. Da reisen auch gern zehn Verbandsmeier mal auf Spesenkosten für vierzehn Tage nach China, um den Asiaten die Vorteile eines gekonnten Hüftschwunges zu demonstrieren, und olympisch wäre der Sport ja auch mal fast geworden, bei den Nazi-Spielen in Berlin hatte man das überlegt. Man stelle sich vor: Der Führer boßelt.

Das Schönste am Boßeln sind allerdings die Presseberichte der Boßel-Öffentlichkeitsarbeiter, die hier abschließend auszugsweise zitiert werden sollen: „Kreisliga, Frauen I. Bensersiel-Utgast 13:0. Utgasts Debakel nahm bereits in der Holzgruppe seinen Lauf, als man mit 9,002 Wurf kielgeholt wurde. Auch in der Gummigruppe ging man frühzeitig über Bord und mußte mit 5,077 Wurf kräftig schlucken. Werdum-Willmsfeld I 0:0. In der Holzgruppe waren die Willmsfelder mehr als nervös und mussten froh sein, nicht mehr als 124 Meter verloren zu haben. Werdum beklagte eine Riesenheerschar Willmsfelder Männer, die ihre Damenmannschaft zu einem 83-Meter-Sieg peitschten, wobei Bernhardine Hinrichs und ihre Gummikugelmitstreiter aus anderem Holz geschnitzt waren. Upgant/Schott-Utarp 0:2. Die Schottjerinnen hatten sich nach dem Willmsfeld-Schock rechtzeitig erholt, obwohl in der Holzgruppe noch nicht alles nach Wunsch lief. Mit 3,053 Wurf konnte sich Bernd Goldensteins Gummitruppe rehabilitieren.“

Mysterium Boßelsport. Darauf einen Eierbecher.

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