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Einige liebten ihn halt doch

Erich Mielke, den Organisator der Überwachung einer gesamten Bevölkerung, finden nicht wenige auch nach seinem Tod gar nicht so schlimm. Und viele wollen auch heute nichts sagen. Nicht nur alte Kommunisten im Westen sind noch voll des Lobes

von BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA und PHILIPP GESSLER

Erich Mielke ist tot, doch sein Milieu lebt – von vielen älteren Menschen in Ostberlin war gestern Nachsicht und gar Bewunderung für den Organisator der Bespitzelung einer gesamten Bevölkerung zu hören. Lichtenberger Senioren erklärten bei einer Straßenumfrage, sie hätten sich in der DDR keineswegs überwacht gefühlt.

Mehrere Befragte zogen Vergleiche zwischen dem Bundesnachrichtendienst und der Stasi. Dass Mielke wegen seiner Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit nicht hinter Gittern gelandet ist, war für einige kein Problem. Die „Stasi-Arie“ in den Medien sei ein bisschen an den Haaren herbeigezogen, erklärte ein 70-Jähriger. Die Stasi habe früher dazu beigetragen, dass das Sicherheitsgefühl der Menschen – im Gegensatz zu heute – größer gewesen sei.

Aus Mielkes unmittelbarer Umgebung wollte sich gestern allerdings niemand äußern. Journalisten, die gestern mit seinen letzten Nachbarn, den Bewohnern des Plattenbau-Altersheims „Haus Kyritz“ in Hellersdorf, sprechen wollten, wurde der Zugang zu den alten Menschen von der Heimleitung verboten. In einem anderen Altersheim in Ostberlin betonten von zehn angesprochenen Bewohnern alle, sie wollten sich zu Mielke nicht äußern.

Das „Solidaritätskomitee für Erich Honecker und alle verfolgten Kommunistinnen und Kommunisten in Deutschland“ kündigte gestern eine Presseerklärung zum Tod von Mielke an – für kommende Woche. Der Grund: Die meisten der 20 „Berater“ sind betagte Herren, die verstreut in Deutschland leben und sich erst abstimmen müssen. Heinz Junge, 85-jähriger Kommunist aus Dortmund, der zu den Mitbegründern des Komitees gehört, Mielke vor etwa acht Jahren im Gefängnis besuchte und auch Honecker kannte, sagte gegenüber der taz: „Wir bewundern und sind sehr froh darüber, dass er sich als Kommunist vor Gericht benommen hat und dem Klassenfeind nichts gesagt hat.“

Einzige kleine Einschränkung in der Bewunderung: „Er ist mit schuld an der Ablösung von Honecker.“ Mielke hätte früher erkennen müssen, „dass sich in der Sowjetunion einiges geändert hat“. Mit einem Kommentar über das Wirken Mielkes als Herrscher über das Ministerium für Staatssicherheit hielt sich Junge gekonnt zurück: „Das kann ich nicht beurteilen, weil das interne Dinge sind, über die er nicht gesprochen hat.“

Beim PDS-Landesverband wurde Mielkes Tod lediglich zur Kenntnis genommen. „Mielke war aus der Partei ausgeschlossen und gehörte zu den von uns kritisierten Personen“, sagte Pressesprecher Axel Hildebrandt. Auch bei der Fraktion im Abgeordnetenhaus war Mielkes Tod gestern kein Thema. „Wer Sympathien für Mielke hatte, kann keine für die PDS haben“, sagte Pressesprecher Günter Kolodziej. Kontroversen innerhalb der Partei zu diesem Thema könne er sich nicht vorstellen. Bei Sarah Wagenknecht von der Kommunistischen Plattform sprang gestern nur der Anrufbeantworter an. Zu hören ist darauf die DDR-Nationalhymne.

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