: Gespräche statt Fensterreden
In Brüssel wird jetzt über die Einzelheiten der EU-Osterweiterung verhandelt
BRÜSSEL taz ■ In vielen feierlichen Fensterreden haben EU-Politiker jeder Couleur in den vergangenen Monaten ihren Willen bekräftigt, die Nachkriegsteilung Europas endlich zu überwinden und die Union zügig nach Osten hin zu erweitern. Gestern hat nun in Brüssel die Detailarbeit mit den Kandidaten der ersten Gruppe – Polen, Ungarn, Tschechien, Slowenien, Estland und Zypern – begonnen. Die Verhandlungen über die Bereiche Justiz und Inneres sind eröffnet worden – und damit soll nun über die eigentlich kritischen Punkte Freizügigkeit, Grenzsicherung, Verwaltung und Justizwesen gesprochen werden.
Die Verhandlungsführer der Kandidatenländer machten gestern deutlich, dass ihr Glauben an die Zusicherungen von Verheugen und Prodi zu bröckeln beginnt. Beide Politiker haben wiederholt betont, diejenigen Länder, die ihre Hausaufgaben gemacht haben, könnten schon 2003 der Union beitreten. Tatsächlich haben sich die Regierungschefs bis heute nicht auf ein eindeutiges Papier geeinigt, das ihre Ausgangsposition mit Daten und verbindlichen Forderungen festschreiben würde.
Dabei versichern Diplomaten, über das für den Westen zentrale Thema Freizügigkeit werde längst nicht mehr gestritten. Zehn Jahre Übergangsfrist bis zur uneingeschränkten Niederlassungsfreiheit hat Österreich vorgeschlagen. Eine Lösung, mit der wohl auch die anderen vierzehn jetzigen EU-Staaten leben könnten. „Das Problem wird nicht mehr so mit Schaumkrönchen gesehen“, hat ein deutscher Diplomat beobachtet. Schließlich habe auch die Süderweiterung 1986 nicht den befürchteten Sog ausgelöst sondern die Migration sogar abgebremst.
Die Kandidatenländer fürchten selbst, dem Umstellungsdruck bis zu einem von ihnen gewünschten frühen Beitrittstermin nicht gewachsen zu sein. Polen möchte für Umweltstandards eine Übergangsfrist von 17 Jahren erreichen. In Tschechien ist gerade eine umfassende Justizreform am Widerstand der Staatsanwälte gescheitert, die keine Kompetenzen abgeben wollen. Dabei steht die Reform des Justizwesens in den Fortschrittsberichten der EU-Kommission für Tschechien ganz oben im Forderungskatalog.
Der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Willi Görlach fordert nun, den Realitäten bei den Beitrittsverhandlungen wenigstens im Budget Rechnung zu tragen. In der finanziellen Vorausschau für die kommenden sieben Jahre sind bereits ab dem Haushaltsjahr 2003 Mittel für neue Mitglieder eingeplant. Da mit Beitritten vor 2007 aber nicht zu rechnen sei, sollten diese Posten in Vorbeitrittshilfen umgewandelt werden, um den Kandidatenländern beim Umbau ihrer Verwaltungssysteme und Industriestrukturen zu helfen, meint der SPD-Politker.
DANIELA WEINGÄRTNER
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