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Der wahre Grund der PferdeliebeIn

Delmenhorst präsentieren sieben internationale Künstler „Zukünftige Lebensformen“

Blühende Landschaften, Stillleben mit Sonnenblumen - Pflanzen waren über Jahrhunderte hinweg aus der bildenden Kunst nicht wegzudenken. Und heute? Wenn Kunst überhaupt konkret wird, dann meist in Darstellungen von Alltagsgegenständen wie Badewannen oder Bügeleisen. Dabei sind Pflanzen und Natur keineswegs aus dem alltäglichen Leben verschwunden. Das Verhältnis des modernen Menschen zur Natur wird derzeit in der Ausstellung „Zukünftige Lebensformen“ in der Städtischen Galerie Delmenhorst kritisch untersucht.

Dabei gehen die sieben Künstler aus Deutschland, Österreich und Frankreich mit viel Ironie zu Werke. Die Wienerin Regula Dettwiler beispielsweise ließ sich ihr Computerprogramm zur virtuellen Landschaftsgestaltung „My Garden“ gerade einmal 20 Dollar kosten. Folglich wirken die vielen Gartenbilder, die sie auf Aquarellpapier ausdrukken ließ und die nun in Postkartengröße an einer Wand hängen, nicht gerade natürlich. Dafür aber kann sie ein wahres Prunkstück von Garten präsentieren: Jedes Bildchen ziert der gleiche, romantisch-heitere Himmel, die gleichen hellroten Rosen, der gleiche saftig-grüne Rasen. Und kein bisschen Unkraut ist zu sehen. Was macht es da schon, dass bei näherem Hinsehen die Unschärfe des billigen Grafikprogramms erkennbar wird! Ja, wenn der Betrachter ehrlich ist, wird er dem Computerausdruck sogar einen ästhetischen Reiz zugestehen müssen. Die unnatürliche Darstellung der Natur wirkt geradezu surrealistisch. Assoziationen mit René Magritte drängen sich auf.

Gleich drei Assoziationen bietet der Hamburger Zeichner Karsten Ewert an. Seine Handstaubsauger würde man wohl als solche erkennen, wenn da nicht unter jedem ein langer Pflanzenstengel wäre. So nämlich sind sie Blüten eines Schilfgewächses. Schilfgewächs? Dann könnten diese langen, schmalen und leicht nach unten geneigten Apparate ja auch die Köpfe von im Schilf versteckten Gänsen sein!

Keine Fragen hingegen kommen bei Ewerts Mädchen-Abbildungen in Reitausrüstung auf. Glückselig lächelnd umschlingen die Pferdenärrinnen liebevoll ihren Liebling. Und der „schlingt“ zurück. Mit einem seltsam biegsamen Kopf, dessen phallusartiges Aussehen nicht zu verkennen ist: Ein möglicher Grund extremer Pferdeliebe bei jugendlichen Mädchen?

Die Darstellungen des alltäglichen Umgangs mit der Natur frappieren und eröffnen neue Sichtweisen. Das bisschen Natur, das sich der Stadtmensch in sein Büro stellt, wird als gleichfalls städtisches Produkt entlarvt. Dem Menschen geht es offenbar nicht um die Natur. Vielmehr sollen die Pflanzen und Tiere einem konkreten Nutzen dienen. Ewerts Pferde weisen auf diese These ebenso hin, wie seine Handstaubsauger oder Dettwilers mit der Schere bearbeiteten Zimmerpflanzen eine sichtbar gemachte Genmanipulation der Natur. Und während draußen die natürlichen Baumblätter vom Gehsteig gefegt werden, räkeln sich Raimund Kummers überdimensionale Nachbildungen aus teurem Muranoglas auf den Kisten, in denen sie transportiert wurden.

Die Ausstellung soll, so Galerieleiterin Barbara Alms, „ein zentrales Feld gesellschaftlichen Wandels beleuchten“. Mit den vorgestellten Arbeiten, ist dieses Vorhaben vollauf geglückt. Bis auf Paul-Armand Gettes Zeichenserie sexueller und pflanzlicher Vermischungen (ein alter Hut), gelingt es allen Künstlern eindrucksvoll, eine neue Anschauungsweise des Umgangs mit Natur im modernen Zeitalter zu vermitteln. Johannes Bruggaier

Die Ausstellung ist noch bis zum 4. Juni in der Städtischen Galerie Delmenhorst zu sehen

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